19. Juni 2019

In ihrer Rede am 30-Jahr-Jubiläum der Alpen-Initiative kündigte Bundesrätin Sommaruga verschiedene Massnahmen zur Verlagerung der Güter auf die Bahn an. Die Alpen-Initiative wollte von der neuen Verkehrsministerin wissen, wo sie Akzente setzen wird.

Die Alpen-Initiative setzt sich seit 30 Jahren für den Alpenschutz ein. Welche Bedeutung hat für Sie die Volksbewegung, die in den Schweizer Alpen entstanden ist?

Die Alpen-Initiative ist sehr wichtig. Die Frauen und Männer der Alpen-Initiative haben nicht länger zugeschaut, wie Tag für Tag immer mehr schwere Lastwagen über unsere Strassen fahren. Sie haben das Heft in die Hand genommen und mit einer bestechend einfachen Idee die Bevölkerung überzeugt: Der Güterverkehr soll auf die Schiene. Dank ihrer Weitsicht und Hartnäckigkeit gehört es heute zum Selbstverständnis der Schweiz, Güter auf die Bahn zu verlagern.


« Wenn die Klimajugendlichen heute auf die Strasse gehen, dann setzen sie fort, was die Alpenschützerinnen und -schützer vor 30 Jahren begonnen haben. Sie sorgen dafür, dass sich die Politik bewegt. »


Was sind Ihrer Ansicht nach die grössten Errungenschaften der Alpen-Initiative?

Dank der Alpen-Initiative hat ein Umdenken stattgefunden. Der Bund hat seine Verkehrspolitik grundlegend neu ausgerichtet. Das ist das grosse Verdienst der Alpen-Initiative.

Die Alpen leiden besonders unter dem Klimawandel. Die Jugendlichen streiken für das Klima. Weshalb ist die Schweizer Politik nicht bereit für griffige Massnahmen?

Ich bin zuversichtlich, dass das Parlament wirksame Massnahmen ins CO2-Gesetz schreibt. Die meisten Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind sich bewusst, dass Klimaschutz der Umwelt nützt und gleichzeitig Arbeitsplätze schafft in der Schweiz. Der Druck der Klimajugendlichen ist sicher hilfreich. Wenn sie heute auf die Strasse gehen, dann setzen sie fort, was die Alpenschützerinnen und -schützer vor 30 Jahren begonnen haben. Sie sorgen dafür, dass sich die Politik bewegt.

Am 30. Geburtstag der Alpen-Initiative haben Sie sich erstmals öffentlich zur Schweizer Verlagerungspolitik geäussert. Welche Akzente wollen Sie als Bundesrätin in der Verlagerungspolitik konkret setzen?

Ich will die Verlagerung mit einem Massnahmenpaket stärken. Dazu gehört, die Trassenpreise für Züge zu senken und langen Güterzügen einen Sonderrabatt zu gewähren. Das verbilligt Bahntransporte und ermöglicht mehr Kapazitäten. Zudem möchte ich die Betriebsbeiträge für die Verlader über 2023 hinaus weiterführen. Gleichzeitig prüfen wir, die LSVA für schmutzige Lastwagen zu erhöhen und den Schwerverkehr stärker zu kontrollieren.

Das für 2018 gesetzlich verankerte Verlagerungsziel wurde verpasst. Braucht es nicht noch mehr Massnahmen, damit das Verlagerungsziel nun rasch erreicht wird?

Von unseren Transportunternehmen höre ich zwei Dinge: Der Güterverkehr auf der Schiene muss zuverlässig und günstig sein. Dann verladen sie noch mehr Güter auf die Schiene. Bei mir rennen sie mit diesen Forderungen offene Türen ein. Mit dem Massnahmenpaket gehen wir genau in diese Richtung.

Die Alpentransitbörse wäre das effizienteste Mittel, um den Transitverkehr im ganzen Alpenbogen zu reduzieren.

Die Einführung einer Alpentransitbörse ist nicht vereinbar mit dem Landverkehrsabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Wir müssten darum mit der EU neu verhandeln. Die EU könnte plötzlich zentrale Errungenschaften infrage stellen, wie die LSVA oder das Nacht- und Sonntagsfahrverbot. Das zeigt: Die Idee einer Alpentransitbörse klingt attraktiv, ist aber nur schwierig umzusetzen. Ich setze lieber auf griffige Massnahmen, die sich rasch realisieren lassen.

Der Schwerverkehr verursacht jährlich ungedeckte externe Kosten von über 1,5 Milliarden Franken. Weshalb schöpft die Schweiz die LSVA nicht maximal aus?

Mit dem Paket zur Stärkung der Schiene prüfen wir, die älteren, schmutzigen Lastwagen bei der LSVA in eine teurere Kategorie umzuklassieren. Das heisst: Diese Lastwagen zahlen eine höhere LSVA. Läuft alles wie geplant, erfolgt dies auf Anfang 2021. Das trägt dazu bei, die Bahn attraktiver und wettbewerbsfähiger zu machen.

Der Strassentransport ist konkurrenzlos billig, auch wegen der Dumpinglöhne der internationalen Fernfahrer. Was unternimmt die Schweiz, um deren miserable Arbeitsbedingungen zu verbessern?

Es ist stossend, wie schlecht die Arbeitsbedingungen mancher Fernfahrer sind. Die Schweiz engagiert sich darum auf internationaler Ebene für strenge Standards. In der Schweiz selber können wir mit intensiveren Kontrollen dazu beitragen, dass die Arbeits- und Ruhezeiten eingehalten werden. Sonst gibt es keinen fairen Wettbewerb zwischen Strasse und Schiene.

Rund ein Drittel der Lastwagen, die in den Schwerverkehrszentren kontrolliert werden, weisen Mängel auf. Diese Missstände müssen unbedingt behoben werden.

Sie haben Recht: Solche Missstände müssen weg. Heute haben wir bereits sieben Kontrollzentren für den Schwerkehr, ein achtes ist im Bau. Hinzu kommen mobile Kontrollen. Es läuft also schon einiges. Wir wollen die Kontrollen aber weiter intensivieren. Der Bund und der Kanton Wallis haben jüngst vereinbart, die Kontrollen am Simplon zu erhöhen und zusätzliches Personal anzustellen.


« Die Initiative hat schon viel bewirkt. Jetzt müssen wir die nächsten Schritte machen. »


Der Transportverkehr nimmt stetig zu und für den Schwerverkehr gelten bis heute keine CO2-Reduktionsziele. Wie will der Bundesrat die Ziele des Pariser Klimaabkommens beim Güterverkehr erreichen?

Einen ersten Anreiz, um den CO2-Ausstoss zu senken, gibt es bereits: Elektrisch betriebene LKW sind von der LSVA befreit. Weitere Massnahmen werden im Parlament derzeit im Zusammenhang der Revision des CO2-Gesetzes diskutiert.

Jon Pult, der Präsident der Alpen-Initiative, hat in seiner Jubiläumsrede einen Plan zur Dekarbonisierung des Schwerverkehrs in der Schweiz skizziert. Was halten Sie von diesem Plan?

Die Details kenne ich noch nicht, aber wir werden das anschauen. Der Vorschlag geht aber sicher in eine interessante Richtung. Schon heute setzen erste Logistiker auf E-Lastwagen oder testen Wasserstoff-LKW.

Die NEAT ist bald fertiggestellt. Doch bei den Zulaufstrecken in Deutschland und Italien harzte es bisher.

In Italien ist der Ausbau auf Kurs. Die Kapazitäten reichen aus. In Deutschland ist die Situation schwieriger. Wir führen deshalb auf Ebene der Fachleute intensive Gespräche. Zudem habe ich Ende Mai meinen Amtskollegen Andreas Scheuer in Leipzig auf bestehende Probleme angesprochen.

Die Alpen-Initiative ist zuversichtlich, dass die Verkehrswende in der Schweiz gelingt. Wie zuversichtlich sind Sie?

Die Initiative hat schon viel bewirkt. Jetzt müssen wir die nächsten Schritte machen. Ich helfe jedenfalls gerne mit.

Das Interview wurde von Corinne Buchser schriftlich geführt.

Die Forderungen der Alpen-Initiative

  • Maximale LSVA oder eine Alpentransitabgabe: Der Bund soll die LSVA voll ausschöpfen oder eine Alpentransitabgabe (Toll Plus) für den alpenquerenden Schwerverkehr einführen.
  • Klimaverträglicher Güterverkehr: Die LSVA soll um ein Element ergänzt werden, das sich nach dem CO2-Ausstoss der Lastwagen richtet.
  • Ausgleichszahlungen für die Bahn beibehalten: Die Ausgleichszahlungen sind nötig, zumindest bis eine Alpentransitbörse eingeführt werden kann. Diese ist nach wie vor das effizienteste Instrument zur Verlagerung auf die Schiene.
  • Mehr Schwerverkehrskontrollen: Der Bund muss die Schwerverkehrskontrollen für Lastwagen intensivieren und die seit 2003 geplanten Kontrollzentren errichten.
  • Verbot für alpenquerende Gefahrguttransporte: Gefährliche Güter müssen lokal hergestellt oder mit der wesentlich sichereren Bahn transportiert werden.