1. Mai 2020

Zwischen 1995 und 2014 hat Alf Arnold die Alpen-Initiative als Geschäftsführer massgeblich geprägt. Einst omnipräsent im Kampf um die Umsetzung der Verlagerungsziele wirkt er heute mehr lokal und im Hintergrund. Ein Gespräch zum 70. Geburtstag aus dem Unruhestand.

Alf Arnold, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Wie geht es dir und was machst du heute, 5 Jahre nach der Pensionierung?

Mir geht es ausgezeichnet. Nach diesen langen und aufregenden Jahren im Einsatz für den Alpenschutz habe ich mich zunächst mal etwas erholt. Allerdings bin ich ja als Geburtstagskind des 1. Mai dazu verpflichtet stets weiter zu schaffen… Nur ist heute nicht mehr die Politik auf schweizerischem und europäischem Parkett mein Betätigungsfeld, sondern der Kanton Uri. Als VCS-Vorstand wirke ich vor allem lokal und mehr im Hintergrund.

Via Bauprojekt neue Axenstrasse sitzt du allerdings auch heute noch wenigstens in einer Frage von nationaler Bedeutung im gleichen Boot wie die Alpen-Initiative.

Den geplanten Luxusausbau der Axenstrasse bekämpfen Alpen-Initiative, VCS Schwyz und Uri sowie die Ärzte für Umweltschutz entschieden. Indem der Bund und die verantwortlichen Kantone Uri und Schwyz von der ursprünglichen Idee, die alte Axenstrasse beim Ort auf eine Spur zurückzubauen, abgekommen sind, haben wir als Resultat faktisch einen Ausbau auf vier Spuren und nur eine teilweise Entlastung von Sisikon. Diese Verdoppelung der Verkehrskapazität widerspricht der Alpenkonvention. Zudem widerspricht die vom Bundesrat beschlossene Aufklassierung der Axenstrasse von einer Nationalstrasse der dritten zu einer der zweiten Klasse dem Nationalstrassengesetz. Eine solche müsste vom Parlament beschlossen werden.

Im Kanton Uri wie auch Schwyz ist es den Befürwortern dieses Bauprojekts gelungen, den Umweltorganisationen den schwarzen Peter dafür anzuhängen, dass die im Grundansatz sinnvolle aber in der Ausführung strittige Umfahrung von Sisikon und des gefährlichen Gumpisch-Felsens nicht vorankommt.

Wir haben eine Kurzumfahrung von Sisikon immer befürwortet und auch für die Umfahrung des Gumpischtals im Fels Zustimmung signalisiert. Wir wollen daneben aber nur eine Sanierung und einen bescheidenen Ausbau der heutigen Strasse. Wir sind nun gespannt, wie das UVEK nach fünfeinhalb Jahren Abklärungen über unsere Einsprache entscheidet. Der Entscheid soll noch vor den Sommerferien fallen. Danach ist immer noch ein Weiterzug ans Bundesverwaltungsgericht und ans Bundesgericht möglich.

In welchen Bereichen de Verkehrspolitik engagierst du dich derzeit noch?

Stark beschäftigt hat uns vom VCS Uri das Neubauprojekt am Bahnhof Altdorf, der neu zum Hauptverkehrsknotenpunkt im Kanton Uri werden soll. Die Kantonalbank hatte in ihrem Projekt die von der Gemeinde vorgeschriebenen Veloabstellplätze für Kunden vergessen. Mit Unterstützung von Procap haben wir zudem durchgesetzt, dass die Bus-Perrons behindertengerecht umgesetzt werden. Und die SBB hat sich aufgrund unserer Einsprache bereit erklärt, auf zwei ihrer Gebäude Solaranlagen zu bauen. Aktuell beschäftigt uns zudem die zur Entlastung des Altdorfer Zentrums geplante Schächenspange WOV in Verbindung mit dem A2-Halbanschluss bei Attinghausen. Wir fordern das versprochene Tempo 60 auf der WOV und die Realisierung einer Langsamverkehrsverbindung von Schattdorf nach Altdorf parallel zur WOV-Schächenbrücke.

Da gibt es also noch einige Betätigungsfelder…

Zugegeben: Die Verkehrspolitik ist nach wie vor mein Steckenpferd, doch gibt es im Kanton Uri auch viel Handlungsbedarf in der Energiepolitik. An den Reusszuflüssen, so am Schächenunterlauf, am Palanggenbach oder im Erstfeldertal sind neue Wasserkraftwerke entstanden oder im Entstehen begriffen. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Bauprojekte möglichst naturschonend umgesetzt werden und fordern angemessene Kompensationsprojekte wie zum Beispiel Renaturierungsmassnahmen. Da unterstütze ich den WWF Uri bei seiner Arbeit. Entschieden gegen einen Ausbau der Wasserkraft sind wir im Meiental. Die heute noch unverbaut fliessende Meienreuss am Sustenpass darf nicht geopfert werden. Da wären wir dann wieder beim Thema Alpenschutz…

Wie steht es um die Solarkraft im Kanton Uri?

Leider behandeln die Kantonsregierung wie auch die Gemeindeexekutiven dieses Thema sehr stiefmütterlich, bei Neubauprojekten der öffentlichen Hand müssen wir regelmässig um Solardächer kämpfen. Der fehlende politische Wille – trotz Ausbauvorgaben im Energiegesetz – ärgert mich. Gerade bei Industrie- und Gewerbebauten, aber auch bei Stallbauten besteht grosses Potenzial, das nicht ausgeschöpft wird, für den Ausstieg aus der Atomenergie und den Kampf gegen die Klimaüberhitzung aber unbedingt genutzt werden müsste. Uns geht die Arbeit also nicht aus.

Die Alpen-Initiative hat soeben ihre Klimakampagne Alpenschutz heisst auch Klimaschutz gestartet und thematisiert die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels auf den hochsensiblen Alpenraum. Wie kommt das bei dir an?

Der Zusammenhang zwischen Verlagerungspolitik und Klimaschutz ist ursächlich gegeben, ich erkenne in der Kampagne viele Themen wieder, die in engem Zusammenhang stehen mit der Alpen-Initiative. Der Klimaschutz muss in allen Bereichen, also auch beim Transitverkehr, angegangen werden und darf nicht misslingen.

Die Zielsetzung der Volksabstimmung von 1994 ist noch immer nicht erreicht, bis wann sie erreicht wird, steht offen. Wie bewertest du diesen seit der Lancierung nun schon über 30-jährigen Kampf?

Die Geschichte der Alpeninitiative stellt dem Demokratieverständnis der Schweiz ein eher schlechtes Zeugnis aus. Die Umsetzung erfuhr andauernde Verzögerungen, man schob das Transitabkommen   vor, dann das Landverkehrsabkommen, dann die noch nicht fertiggestellten Eisenbahntunnels der NEAT am Lötschberg und am Gotthard, jetzt ist es der 4-Meter-Korridor und der Ceneri-Basistunnel, die erst Ende dieses Jahres in Betrieb gehen, und die Verzögerungen beim Ausbau der deutschen Zulaufstrecke. Ohne den beständigen Druck der Alpen-Initiative wären wir wohl noch nicht einmal dort, wo wir jetzt stehen, wobei wir noch immer mehr als 300’000 LKW-Fahrten vom Verlagerungsziel entfernt sind.

Kommt dir überhaupt eine vergleichbare verzögerte Umsetzung des Volkswillens in den Sinn?

Eine ähnlich peinliche Geschichte ist die unglaublich verzögerte Gleichstellung der Frauen. Ich hoffe, dass der vom Volk beschlossene Atomausstieg nicht auch so lange verschleppt wird.

Du bist ein moderner Mann, der neben seinem 70-Prozent-Engagament für die Alpen-Initiative stets auch als Hausmann engagiert war und viele Aufgaben im Haushalt und in der Kindererziehung wahrgenommen hat. Hat hier ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden?

Es hat sich vieles getan, doch staune ich, wie sehr die klassische Rollenverteilung noch immer spielt. Teilzeitarbeit ist bei Männern nach wie vor nicht beliebt und wird vom Staat und von den Arbeitgebern kaum gefördert. Da ist noch viel zu tun.

Hast du neben deinen zahlreichen Projekten für den Umweltschutz überhaupt noch Zeit für anderes?

Früher lief ich mit den Journalisten der Autobahn im Reusstal entlang. Heute geniesse ich es in der Höhe zu wandern. Wobei das derzeit auch schwer möglich ist, sind doch die Seilbahnen wegen der Coronakrise zu. Ich bin aber auch sonst viel in Bewegung, so nach wie vor oft mit meinem 30-jährigen mit reiner Muskelkraft betriebenen Velo. Ich bin froh, wenn wir nach diesem Lockdown wieder normal funktionieren können. Mich mit der Waschmaschine und Bügelbrett zu unterhalten, ist mir zu wenig anregend.

Glaubst du, dass die Coronakrise zu einem Bewusstseinswandel führt? Dass also die Leute merken, dass man durchaus mehr Verzicht üben kann, vor allem auch zugunsten der Umwelt?

Ich bin da sehr skeptisch. Die breite Bevölkerung ist eher träge und definiert sich über den Konsum. Sie wird sehr rasch zur Normalität zurückkehren, wenn der Staat nicht steuernd eingreift. Umso mehr braucht es – gerade von Institutionen wie der Alpen-Initiative – nach wie vor sehr viel Engagement zum Schutz unserer Umwelt. Klimaschutz ist eine zwingende und dringende Notwendigkeit und eine riesige Herausforderung für die gesamte Menschheit, genauso wie die Erhaltung der Artenvielfalt. Es geht hier nicht um fromme Wünsche, sondern ums Überleben. Die Corona-Krise ist vielleicht so etwas wie ein Testlauf für die Bewältigung eines Problems, das alle Menschen rund um den Globus gleichermassen bedroht.