19. Juli 2017

Unerschrocken kontrolliert Raymond Lausberg auf den belgischen Autobahnen die Lastwagen. Er ist zum Schreck der unlauter agierenden Transporteure geworden. Er und sein Team büssen rigoros, wenn die Fahrzeuge technische Mängel aufweisen oder die Chauffeure unter erbärmlichen Bedingungen ihren Job erfüllen müssen.

sh/tob. Mitte Mai 2017 fuhr die Polizei bei der Jost Group vor, einem grossen europäischen Transport- und Logistikunternehmen. Ihr werden unter anderem Menschenrechtsverletzungen, Sozialversicherungsbetrug über Briefkastenfirmen, Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Die Gross-Razzia erfolgte an den Standorten des Unternehmens in Belgien, Luxemburg, Rumänien und in der Slowakei. Die Jost Group fährt mit ihren Lastwagen auch durch die Schweizer Alpen.

Raymond Lausberg ist Hauptinspektor und Leiter der Transportgruppe bei der Autobahnpolizei in Battice (Belgien). Er hat den Ruf, für die Einhaltung der Sozialvorschriften im Strassengüterverkehr zu kämpfen. Sein Brief an einen belgischen Minister führte zur Einführung eines Bussgeldes, wenn ein Fahrer seine normale Wochenruhezeit von 45 Stunden im Fahrzeug verbringt.* Er wacht mit seinem Team von 10 Leuten über 280 Kilometer Autobahn. Bei Unfällen rücken sie aus, bergen Verletzte und Tote, analysieren die Umstände. Die Polizisten begleiten auf Motorrädern auch die Velorennfahrer der ältesten Eintages-Rundfahrt Lüttich-Bastogne-Lüttich oder den Tross der Tour de France, wenn er durchs Gebiet rauscht. Und Raymond Lausberg kontrolliert Lastwagen. Lastwagen wie eben jene der Jost Group.

Herr Lausberg, auf Einladung der Alpen-Initiative sind Sie in die Schweiz gekommen. Sie haben die Reise nicht offiziell als Polizist gemacht, sondern in privater Mission. Was treibt Sie an?
Viele Transportunternehmen behandeln ihre Chauffeure unmenschlich. Da leben Menschen sechs Wochen oder länger in der Fahrerkabine ihres Lastwagens, ohne Chance, richtig duschen zu können oder erst recht ohne Möglichkeit, ihre Familien zu sehen. Das habe ich vor fünf Jahren erstmals richtig wahrgenommen, als ich vermehrt Kontrollen auf Parkplätzen machte. Ich war überrascht, wie viele Verstösse gegen Gesetze und Vorschriften es gibt.

« Die Fahrzeuge werden aus Spargründen kaum unterhalten, das wirkt sich aus, zum Beispiel bei den Bremsen. » Raymond Lausberg

Verunsichert Sie das als Autofahrer?
Wenn ich privat unterwegs bin und bei einem Stau anhalten muss, schaue ich immer mit einer gewissen Sorge in den Rückspiegel. Das hat einen einfachen Grund. Bei Kontrollen stellen wir immer wieder fest, dass viele Fahrer übermüdet oder extrem frustriert sind. Das sind keine guten Voraussetzungen, einen 40-Tonnen-Lastwagen zu steuern. Zudem wird der technische Zustand der Lastwagen nicht besser, sondern schlechter. Die Fahrzeuge werden aus Spargründen kaum unterhalten, das wirkt sich aus, zum Beispiel bei den Bremsen. Wir haben viele schwere Auffahrunfälle. Es ist wirklich beängstigend.

Wie hat Belgien auf die Razzia bei der Jost Group reagiert?
Die Lage ist explosiv. Viele Transportunternehmer haben während Jahren bei den Sozialversicherungen betrogen, indem sie Fahrer aus dem Ostblock über Scheinfirmen anstellten. Nun fürchten sie sich. Die Bevölkerung wiederum interessiert sich sehr für diese Betrügereien. Einerseits, weil dem Staat Millionen verloren gehen, andererseits, weil in Belgien das Transportgewerbe traditionell ein wichtiger Wirtschaftszweig ist. Dort aber sind in den letzten Jahren viele Kleinunternehmen verschwunden und Tausende von Arbeitsplätzen verloren gegangen, nicht zuletzt wegen der Dumpinglöhne. Inzwischen fliegen die grossen westeuropäischen Spediteure sogar Fahrer aus den Philippinen oder Brasilien ein, um Geld zu sparen. Mein Rekordchauffeur: 6 Monate im Lastwagen bei 600 Euro Monatslohn, das ist doch krass.

Sie machen sich mit Ihren Kontrollen nicht nur Freunde …
… die Kommentare zur grossen Razzia waren auf den Websites der grossen Medien positiv. Aber Sie haben schon recht, bei vielen Spediteuren bin ich verhasst und Anwälte klagen gegen mich. Damit kann und muss ich leben. Das Schlimmste für mich ist, wenn mich die eigenen Leute wegen der Kontrollen kritisieren.

Was sagen die Chauffeure?
Grosse Freude haben die wenigsten, wenn sie kontrolliert und gebüsst werden. Aber es ist nun einmal gesetzeswidrig, wenn ein rumänischer Chauffeur während Wochen nur Belgien – Frankreich fährt. Manchmal sind Chauffeure verzweifelt und sagen: Was soll ich denn tun, ich muss diese Arbeitsbedingungen und den Lohn akzeptieren, sonst verliere ich den Job. Vor kurzem kam ein tschechischer Fahrer zu uns und bedankte sich. Seit bekannt sei, dass die Wochenendruhezeiten kontrolliert würden, könne er jetzt manchmal für Samstag und Sonntag nach Hause.

« Nicht der rumänische Fahrer ist gefährlich, sondern unsere Speditionsunternehmen sind es. » Raymond Lausberg

Lob für einen Polizisten?
Ja, das gibt es. Ich muss Ihnen sagen: Ich bin kein Freund von Bussen für Chauffeure. Die grossen Transportunternehmen gehören bestraft. Sie sind nach EU-Recht verpflichtet, darauf zu achten, dass die Chauffeure regelkonform unterwegs sind. Genau das Gegenteil aber provozieren sie, wenn ein Logistiker seine Chauffeure so einteilt, dass sie sechs Wochen ununterbrochen fahren und im Lastwagen leben müssen. Nicht der rumänische Fahrer ist gefährlich, sondern unsere Speditionsunternehmen sind es.

In der Schweiz haben wir das grosse Schwerverkehrszentrum in Uri. Wo führen Sie in Belgien die Kontrollen durch?
Wir machen mit einer mobilen Prüfanlage vor allem Einzelkontrollen auf Parkplätzen. Die Trefferquote ist hoch. 80 Prozent der von uns kontrollierten Lastwagen fallen durch wegen schlecht funktionierender Bremsen, falscher Fahrzeugausweise oder gefälschter Mindestlohnbescheinigungen, oder die Chauffeure verstossen gegen das Arbeitsrecht usw. Es kommt immer wieder vor, dass wir mit unserem Team an einem einzigen Sonntag über 10’000 Euro an Bussgeldern eintreiben.

Wie wichtig sind solche Kontrollen für die Sicherheit auf den Strassen?
Ich mache ein Beispiel: Ein Chauffeur manipuliert seinen Bordcomputer. Er täuscht vor, das Fahrzeug fahre nicht und er halte die Ruhezeiten ein, er ist aber mit dem Lastwagen unterwegs. Wegen der Manipulation jedoch sind beim Fahrzeug das ABS-Bremssystem und der Geschwindigkeitsbegrenzer ausgeschaltet. Es ist prekär. Ich komme mir manchmal vor wie ein Don Quichotte im Strassenverkehr.

* Belgien verbietet, gleich wie Frankreich und neu auch Deutschland, dass die Lastwagenchauffeure ihre obligatorische regelmässige Wochenruhezeit von 45 Stunden im Fahrzeug zu verbringen.