13. September 2006

Uli Röhm, Fernsehjournalist und Wirtschaftsredakteur, Autor des Schwarzbuchs „Tatort Autobahn – Kriminelle Machenschaften im Speditionswesen“ – Campus Verlag 2006

1. Schlüsselbranche
Die Speditions- und Logistikbranche hat für die international hochgradig arbeitsteilige Industriegesellschaft die entscheidende strategische und wirtschaftspolitische Bedeutung, sie ist das Scharnier, ohne dessen Funktionsfähigkeit in der arbeitsteiligen Wirtschaft sofort alles zu-sammenbrechen würde.

Die Speditions- und Logistikbranche wird weiter an Bedeutung gewinnen. Durch die Strukturveränderungen in Industrie und Handel und die immer schneller voranschreitende Industrialisierung und Internationalisierung der industriellen Produktion steigt das Transportvolumen von Waren und Gütern von Jahr zu Jahr.

Als Folge der Globalisierung werden Einzelteile und Halbprodukte rund um den Globus gefertigt und in den verschiedenen Endfertigungsstätten just in time angeliefert. Dadurch verlagert sich immer mehr gewerbliche Fracht auf die Straße.

Verkehrspolitik und Umweltpolitik darf sich nicht nur auf Warentransport auf der Straße beschränken, sondern muss auch den Transport auf der Schiene und auf Flüssen und Kanälen einbeziehen. Bei Massengütern spielt im internationalen Frachtverkehr die Seeschifffahrt eine bedeutende Rolle. Die Luftfracht hat sich im Speditionsbereich in letzter Zeit zu einem renditeträchtigen Faktor entwickelt. Hohe Zuwachsraten erzielt auch der Transport von Gütern in Rohrleitungen. Dazu gehören nicht nur flüssige und gasförmige Güter, wie Benzin und Erdöl, sondern auch solche aus Granulat und Pulver.

Die Branche ist ein bedeutender Arbeitgeber. In Deutschland sind mehr als 550’000 Menschen in der Speditions- und Logistikbranche beschäftigt, davon rund 350’000 Fahrer hinter dem Steuer.

Die Verkehrspolitik hat – weder national noch auf europäischer Ebene – den Stellenwert, der ihr aus wirtschaftspolitischen und umweltpolitischen Gründen gebührt. Verkehrspolitik müsste vom Finanzetat her das politische Gewicht haben, wie es beispielsweise für die Sozial- oder Verteidigungspolitik gilt.

2. Unfallfolgen und Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer
Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit, Lenkzeitüberschreitungen, lebensgefährliche Raserei, Nicht-Einhalten der Ruhezeiten bedeutet Unfallgefahr für andere Verkehrsteilnehmer.

LKW-Fahrer, die übermüdet sind, handeln verantwortungslos, denn das sind Ursachen für schwere und tödliche Unfälle.

Verstöße gegen die Ladungssicherung sind eine häufige Unfallursache, weil Ladung verrutscht. Die Zeit, um Ladung zu sichern, fehlt, weil Kosten gespart werden sollen. Mangelnde regelmäßige Wartung der Fahrzeuge führt zu Problemen mit den Bremsen.

3. Gesetzesverstöße risikolos
Wer gegen Lenkzeiten verstößt, vorgeschriebene Ruhepausen nicht einhält, zulässigen Höchstgeschwindigkeiten überschreitet, Sonntagsfahrverbot missachtet, Sicherheitsvorschriften ignoriert und Fahrzeuge überlädt spart Kosten und erzielt Produktivitätsgewinne.

Verstöße ermöglichen bis zu 17 Prozent höhere Gewinne. Wer entdeckt wird zahlt in Deutschland ein läppisch niedriges Bußgeld. Bei weniger als ein Prozent Kontrollen ist die Gefahr erwischt zu werden gering. Selbst wenn alle Vergehen entdeckt und geahndet werden, bleiben unter dem Strich immer noch Einsparungen zwischen 5 bis 8 Prozent, denn die Bußgelder kosten nur einen Bruchteil des Gewinns, der mit den Verstößen erzielt wird. Gewinne, die sich durch Verstöße erzielen lassen, sind um ein Mehrfaches höher als die Bußgelder, die anfallen, wenn flächendeckend kontrolliert und geahndet würde.

4. Abgaben decken Schäden nicht
Folgen von Überladen sind kaputte Straßen, Schlaglöcher auf der Fahrbahn und Brückenschäden und Umweltschäden durch Lärm und Emissionen. Dies zu beseitigen, kostet ein Vielfaches der Einnahmen aus Mineralölsteuer oder anderen Abgaben. Hier gilt kein Verursacherprinzip, die Folgen werden auf alle Steuerzahler abgewälzt.

5. Spitzengewinne durch Illegalität
Noch mehr Gewinne können durch illegale Beschäftigung ausländischer Fahrer erzielt werden, die zu Sklavenlöhnen hinter dem Steuer sitzen. Mit Steuerhinterziehung und Betrug an den Sozialkassen lassen sich Kosten massiv senken. An einem illegalen Fahrer werden bis zu 70.000 Euro im Jahr verdient!

6. Kriminalität ist an der Tagesordnung
Wenn Schwarzgeld ins Ausland transferiert, Versicherungen betrogen, Steuernhinterzogen oder Bilanzbetrug begangen wird, reicht ein PC. Wer Waffen transportieren will, braucht man einen LKW. Für Giftmüll Ladeflächen. Rauschgift und Drogenerreichen ohne die Straße ihre Empfänger nicht. Unverzollte Zigaretten kann man ohne Lastkraftwagen nicht verteilen und auch bei Menschenhandel ist man auf Fahrzeuge angewiesen. Das alles ist virtuell nicht möglich. Die Speditionsbranche ist das Nadelöhr, durch das alle diese Güter müssen.

Viele Speditionsunternehmen sind in ihrer Existenz gefährdet und können nur noch überleben, wenn sie sich mit dieser Schattenökonomie arrangieren, denn in dieser Grauzone lässt sich viel Geld verdienen. Danach ist es schwierig, zu normalen gesetzeskonformen Zuständen zurückzufinden. Wer sich einmal darauf eingelassen hat ist erpressbar.

7. Der Staat hat sich ordnungspolitisch verabschiedet
Die Liberalisierung der Märkte brachte die weitgehende Abschaffung aller Kontrollenund damit eine Einladung, Gesetze und Vorschriften zu ignorieren, zu umgehen und auf illegale Strukturen zu bauen. Die Branche hat sich eigene Gesetze geschaffen und ignoriert Recht und Ordnung weitgehend. Der Staat ist nicht mehr in der Lage ist für Ordnung zu sorgen.

Die kilometerabhängige Bezahlung ist gesetzeswidrig, aber Praxis. Eine Statistik über tödliche Unfälle als Folge der Raserei und Übermüdungen der LKW-Fahrer fehlt, dies scheint poli-tisch nicht gewollt zu sein. Zahlen über entgangene Mehrwertsteuer hat die deutsche Bundes-regierung bisher nicht vorgelegt.

Die Einnahmenausfälle durch nicht entrichtete Zölle und dadurch hinterzogene indirekte Steu-ern betragen nach Schätzungen der Europäischen Kommission allein im EU-Haushalt 30 Milliarden Euro.

8. Die Kriminalität reicht bis in die Behörden
Zurzeit stehen in Deutschland die beiden größten Speditionsunternehmen unter Anklage: Der Großspediteur Betz aus Reutlingen sitzt seit Oktober 2005 in Untersuchungshaft. Sein Prozess beginnt im September in Stuttgart. Die Geschäftsführer der Spedition Fixemer aus Perl im Saarland stehen seit Jahresbeginn in Saarbrücken wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe vor Gericht und sind nur auf freiem Fuß, weil sie eine Kaution in Höhe von 11 Millionen Euro geleistet haben.

9. Rosenheimer Taskforce
Neue Gesetze und Verordnungen sind nicht notwendig. Beispiel Rosenheim: dort werden illegale Fahrer nicht länger als Täter behandelt, sondern als Zeugen, gegen ihre Auftraggeber und gegen ihre Arbeitgeber.

Setzt ein Spediteur einen Ausländer nicht nur einmal illegal ans Steuer, sondern über einen längeren Zeitraum, handelt es sich bei solch einem Arbeitgeber um einen „Serientäter“.

Sind zwei Personen – beispielsweise der Unternehmer und sein Disponent – beteiligt, kommt der Straftatbestand der »Bandenmäßigkeit« dazu. Bei Merkmalen »serienmäßig«, »gewerbsmäßig« und »bandenmäßig«, geht die Justiz von einem »fortgesetzten Begehen von Straftaten« aus. Juristisch handelt es sich dann um ein „Verbrechen“, mit so hohe Strafen verhängt werden, dass sich Verstöße nicht mehr lohnen.

10. Militärisch-strategisches Interesse
Früher gab es in Deutschland Eisenbahnverkehrsgesetze und einen Reichskraftwagentarif. In anderen Ländern bestanden ähnliche Regelungen. Das waren staatliche Eingriffe zum Schutz der Bahn, denn der Staat hatte ein erhebliches militärisch-strategisches Interesse an der Schiene. Seit die Armee auf die Eisenbahn nicht mehr angewiesen ist, überlässt er diesen Sektore dem so genannten „freien“ Markt.

Regierungen sollten bei Arbeits- und Sozialbedingungen der Fahrer das gleiche Engagement zeigen, mit dem militärische Interessen durchgesetzt worden sind.

P.S. Eine Beobachtung: In allen Branchen nehmen Verstöße proportional genauso zu, wie der gewerkschaftliche Organisationsgrad sinkt.