20. September 2018

Während in den Alpen die Wiesen verwalden, werden tonnenweise Holzprodukte aus dem Ausland herangekarrt. Das heizt den Transportverkehr sowie das Klima an – und schadet dem Schutzwald.

cb. Hornklee, Knabenkraut, Feuerlilie: In den Alpen dehnt sich der Wald alljährlich aus und verdrängt Alpenwiesen mit ihrer einmaligen Flora und Biodiversität. In der Schweiz wächst im Alpenraum deutlich mehr Holz nach als genutzt wird: Der Wald nimmt dort pro Jahr um fast die Fläche des Thunersees zu.

Holz gäbe es in der Schweiz also genug zu ernten. Holz ist eine der wichtigsten natürlichen Ressourcen unseres Landes – und Holz als Baustoff boomt. Umso paradoxer scheint die Tatsache, auf welche die kürzlich erschienene Studie «Importdynamik von Konsumgütern in der Schweiz» hinweist (siehe Kasten): Die Importe von forstwirtschaftlichen Produkten (ohne Brennholz) sind seit 1990 um 40 % gestiegen – die Importe von Fertigholzprodukten nahmen sogar um fast 350 % zu.

Das Massivholz aus Schweizer Wäldern

gerät gegenüber verarbeiteten Holzprodukten aus dem Ausland ins Hintertreffen. Allein 2016 wurden über 2,1 Mio. m3 Halbfabrikate wie Spanplatten, Sperrholz und Furniere sowie mehr als 3,4 Mio. m3 Fertigholzfabrikate wie Möbel und Fertigbauteile vor allem auf der Strasse herangekarrt. Die Holzwaren kommen laut der Studie aus Deutschland, aber auch aus Österreich, Italien, Frankreich und Osteuropa – und sind trotz Transportkosten billiger als Schweizer Produkte.

Mehr Importe bedeutet auch mehr Verkehr: Das wirkt sich verheerend auf das sensible Ökosystem der Alpen aus. Die Alpen leiden besonders unter dem Klimawandel. Die Temperaturen steigen hier doppelt so schnell an wie im globalen Durchschnitt. Die Gletscher schmelzen, der Permafrost taut auf und die stark an ihren extremen Lebensraum angepassten Pflanzen und Tiere fliehen in die Höhe – soweit möglich. Die Bevölkerung in den Alpen ist vom Klimawandel auch durch das erhöhte Risiko von Murgängen und Steinschlägen betroffen.

Nicht nachhaltig

Weshalb importieren wir so viel Holz? Die Studie zeigt: Der Bedarf an Holzfabrikaten nahm stark zu – insbesondere im Bausektor, wo heute viel mehr verleimte Holzbauteile wie Platten und Träger zum Einsatz kommen. Die Produktion von standardisierten Massenholzprodukten findet vor allem im Ausland statt, auch weil die Kosten dort niedriger sind. Die Schweizer Betriebe haben sich vielmehr auf Holzprodukte mit Qualitätslabel sowie Herstellungen spezialisiert, die ein besonderes Know-how erfordern.

Das Fazit der Studie: «Die aktuelle wirtschaftliche Strategie ist ökologisch und sozial nicht nachhaltig.» Sie führt zu einer starken Zunahme der Importe sowie zu einem Verlust von Arbeitsplätzen. Laut den Autoren sollten die Konsumenten wieder vermehrt auf Schweizer Holz setzen. Zudem sollte die Politik die Schweizer Holzbranche unterstützen, um das ungenutzte Waldpotenzial auszuschöpfen.

Was tut der Bund gegen die Auswirkungen der Holzimporte? Holz geniesse aus rechtlicher Sicht keinen Grenzschutz, sagt Michael Husistein von der Abteilung Wald des Bundesamts für Umwelt (BAFU). «Aus ordnungspolitischer Sicht existiert somit seitens des Bundes kein direkter Hebel, diese Entwicklung aktiv zu steuern.» Die Massnahmen des Bundes würden auf Forschung und Innovation fokussieren. Aber auch auf Sensibilisierungskampagnen wie etwa die Kampagne «Woodvetia – Aktion für mehr Schweizer Holz», die 2017 gemeinsam mit Schweizer Unternehmen und Verbänden der Wald- und Holzwirtschaft durchgeführt wurde.

«Diese Massnahmen sollen mithelfen, die Verwendung von Holz und wenn möglich Schweizer Holz zu stärken und auch einen Beitrag an die Finanzierung der Waldbewirtschaftung zu leisten.» Doch der Bund ging nicht immer mit gutem Beispiel voran. Vor ein paar Jahren sorgte er selbst mit importierten Holzfabrikaten für negative Schlagzeilen: Im Bundeshaus wurden Holzfenster aus Tschechien eingebaut.

© Alpen-Initiative

Folgen für Schutzwald

Ein Drittel der Schweiz ist mit Wald bedeckt. Fast die Hälfte aller Schweizer Wälder sind Schutzwälder – und um diese zu erhalten, braucht es Pflege. An Steilhängen ist der Arbeits- und Kostenaufwand zum Holzen jedoch besonders gross: Angesichts des tiefen Holzpreises lohnt es sich hier nicht, Holz zu schlagen. Der grösste Teil des Waldes in den Alpen ist zwar in Besitz von Gemeinden, Korporationen und Burgergemeinden. Doch in den Alpen gibt es anzahlmässig am meisten private Waldbesitzer. Und die lassen die Holzernte im Moment oft bleiben.

Der tiefe Holzpreis macht auch der Waldwirtschaft zu schaffen: Viele Forstbetriebe schreiben rote Zahlen. Laut Bundesamt für Umwelt unterstützt der Bund die Kantone bei der Schutzwaldpflege mit rund 70 Mio. Franken pro Jahr.

Es scheine dringlich, eine zumindest kostendeckende Waldbewirtschaftung anzustreben, um die Schutzfunktion des Waldes auch in Zukunft sicherstellen zu können, heisst es in der Publikation «Forstwirtschaftliches Testbetriebsnetz der Schweiz», die 2018 vom Bundesamt für Umwelt und von WaldSchweiz, dem Verband der Schweizer Waldeigentümer, herausgegeben wurde.

Eine brisante Aussage: Denn die Bedeutung der Schutzfunktion des Waldes dürfte angesichts des Klimawandels und der zunehmenden Gefahr von Steinschlägen und Murgängen gerade in den Alpen weiter zunehmen. – Der Anstieg der Holzimporte trägt da alles andere als zur Verbesserung der Situation bei.

«Graue Transporte» nehmen zu

Das Bundesamt für Umwelt hat kürzlich das Postkarten-Set «Mit Holz in die Zukunft» herausgegeben: «Holz aus der Nähe ist gut für die Schweiz», heisst es auf einer Postkarte. «Die Wahl von einheimischen Holzarten schafft Arbeitsplätze, senkt den Verbrauch von grauer Energie und garantiert Qualität.» «Graue Energie» – das scheint gerade in Bezug auf die nachhaltige Ressource Holz absurd. Die Studie «Importdynamik von Konsumgütern in der Schweiz» weist darauf hin, dass trotz zunehmender Importe die Transportproblematik hierzulande nicht sichtbar ist. Für eine nachhaltige Entwicklung braucht es unbedingt mehr Transparenz zu den Transportdistanzen von Konsumgütern.

Die Schweiz hängt sich derweil ein grünes Mäntelchen um. Die sogenannte Gütertransportintensität nimmt laut Bundesamt für Statistik (BFS) im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt seit 2006 tendenziell ab. Das wäre positiv, nur bildet der entsprechende Indikator in keiner Weise die Realität ab: Denn darin sind die Distanzen nicht erfasst, über die Güter im Ausland transportiert werden. Die Importe in die Schweiz haben seit den 90er-Jahren jedoch stark zugenommen, nämlich um fast 15 %. Damit stiegen auch die im Ausland zurückgelegten Transportkilometer. In unseren Waren verstecken sich immer mehr «graue Transporte» – weil die Transporte so billig sind.

Immerhin hat der Bund dieses Jahr erstmals einen Treibhausgas-Fussabdruck der Schweiz publiziert. Die Ergebnisse zeigen: Zwei Drittel der CO2-Emissionen der Schweiz entfallen heute auf die Herstellung von Gütern im Ausland, die wir hierzulande konsumieren.

Statt umzudenken und auf einheimische Produkte zu setzen, lagern wir Produktionsemissionen und Transportabgase zunehmend ins Ausland aus. Zumindest in der Theorie ist diese Erkenntnis auch im Bundesrat angekommen. «Wir importieren zu viel», sagte Verkehrsministerin Doris Leuthard am diesjährigen Uno-Forum für nachhaltige Entwicklung in New York.

Die Politik steht in der Pflicht. Sie muss dafür sorgen, dass die Schutzwaldfunktion der Wälder erhalten bleibt und ein Leben in den Bergtälern auch in Zukunft möglich ist. Doch auch Konsumentinnen und Konsumenten können einen Beitrag leisten: Indem sie Schweizer Holz statt Spanplatten aus dem Ausland kaufen.