19. April 2010

Die Prognosen sagen für den Güterverkehr ein doppelt so schnelles Wachstum voraus wie für den Personenverkehr. Soll der alpenquerende Güterverkehr von der Eisenbahn übernommen werden, so ist das Schienennetz vorausschauend auszubauen. Die Alpen-Initiative wehrt sich, dass hier gespart und der Alpenschutz geopfert wird.

Das Sparen bei der Bahninfrastruktur hat unangenehme Effekte für den Güterverkehr. Cartoon: Diego Balli

aa. Der Bundesrat hat angekündigt, dass er bis 2015 jährlich 2,7 Milliarden Franken einsparen will. Auch der öffentliche Verkehr soll seinen Sparbeitrag leisten. Unter Druck kommt vor allem der regionale ­Personenverkehr. Gleichzeitig beraten Bundesrat und Parlament über die zukünftige Entwicklung der Bahninfrastruktur (ZEB) und das Projekt Bahn 2030. Ausbauten sind dringend nötig, das Geld aber nur ­beschränkt vorhanden. Zudem haben die SBB herausgefunden, dass sie für den Schienenunterhalt jährlich 850 Millionen Franken mehr benötigen als bisher. Niemand weiss, wer dies bezahlen soll.

Mehr Kapazität für wenig Geld
Im vergangenen November hat der Bun­desrat die Liste der Projekte veröffentlicht, die im ersten Ausbauschritt ZEB 1 realisiert werden sollen. Darin enthalten sind eine ganze Reihe kleinerer Projekte zur Leistungssteigerung auf der Gotthardachse und auf der Lötschbergachse. Schon in wenigen Jahren sollen dem Güterverkehr zwischen Basel und Chiasso bzw. Luino dank 100 Mio. Investitionen 30 zusätz­liche Trassen pro Tag zur Verfügung stehen – das heisst, täglich könnten 30 Züge mehr verkehren. Mit weiteren Massnahmen sollen auch die neuen Kapazitäten der Basistunnel am Gotthard (2017) und am Ceneri (2019) genutzt werden können. Diese Ausbauten (350 Mio. Franken) ermöglichen nochmals täglich 70 Güterzüge mehr von Grenze zu Grenze.

Personen- und Güterverkehr in Konkurrenz
Die Konkurrenz zwischen Personen- und Güterverkehr auf der Schiene ist gross. Das zeigt exemplarisch der Gotthard-Basistunnel. Geplant sind pro Stunde und Richtung sechs Güterzüge und ein Intercity-Zug. Da der IC mehr als doppelt so schnell fahren soll wie die Güterzüge, darf er erst in den Tunnel einfahren, wenn der Güterzug vor ihm schon über die Mitte hinaus gelangt ist. Denn im Tunnel ist kein Überholen möglich. So braucht der IC viel mehr Kapazität als die Güterzüge, die alle gleich schnell und in kurzem Abstand hintereinander fahren. Nun möchten aber die SBB am liebsten jede halbe Stunde einen IC Richtung Tessin fahren lassen. Das würde mindestens zwei GüterzugsTrassen pro Stunde kosten. Auch in den durchfahrenen Agglomerationen konkurrenziert der Angebotsausbau im Personenverkehr (Halbstunden- oder gar Viertelstundentakt) den Güterverkehr.

Verlagerungsauftrag ausdehnen
Dabei ist die Lobby des Güterverkehrs am kürzeren Hebel. Der regionale Personenverkehr ist für die SBB kostenneutral, weil seine Leistungen von Bund und Kantonen bestellt werden. Die Fernreisezüge (IR, IC, EC) sind marktwirtschaftliche Angebote und bringen unter dem Strich einen Erlös ein. Anders der Güterverkehr, der in den vergangenen Jahren immer rote Zahlen schrieb – trotz finanzieller Unterstützung durch den Bund im Rahmen der Verlagerungspolitik. Es kommt hinzu, dass für die ÖV-Planungen der Kantone der Güterverkehr meist nur eine untergeordnete Rolle spielt. Und auch die Medien und die Öffentlichkeit interessieren sich weit mehr für bequeme und schnelle Personenzüge als für Güterzüge. Die angekündigte Reorganisation von SBB Cargo lässt darum einen Kahlschlag beim Angebot für den Binnengüterverkehr befürchten. Dieses Horrorszenario kann die Politik nur stoppen, wenn sie den Verlagerungsauftrag auf den Binnenverkehr ausdehnt.

Ob in Bahn 2030 schliesslich 21 oder nur 12 Milliarden Franken investiert werden können, steht noch in den Sternen. Klar ist aber schon jetzt: Die Ausbauwünsche übersteigen diesen Finanzrahmen bei weitem. Viele Projekte müssen auf die ­Zukunft verschoben werden. Umso wichtiger ist, dass die Alpen-Initiative immer wieder auf die Bedürfnisse des Güterverkehrs und auf die verfassungsmässige Pflicht zum Alpenschutz hinweist.

Dank geringen Investitionen könnten auf der Gotthardstrecke täglich 30 bis 100 Güterzüge mehr verkehren.

Wer soll das bezahlen?
Für den Bundesrat steht ein Aufschlag auf die Billettpreise im Vordergrund der möglichen öV-Finanzierungsinstrumente. Für die Alpen-Initiative ist dies nur dann akzeptabel, wenn gleichzeitig die CO2-Abgabe auf die Treibstoffe ausgedehnt und die LSVA rasch wieder auf die maximale Höhe korrigiert wird. Der Bundesrat könnte auch die Fahrkostenabzüge für Pendler und Pendlerinnen bei den Steuern reduzieren: Daraus resultierte ein Erlös für Bund und Kantone von jährlich bis zu 1,2 Milliarden Franken. Rund 200 Millionen Franken ergäbe eine Ausdehnung der LSVA auf die Lieferwagen.