24. Mai 2022

«Was nicht den Vorschriften entspricht, fährt nicht.» Stefan Simmen und seine 57 Mitarbeitenden des Schwerverkehrszentrums in Erstfeld werden – dank viel Gespür und Erfahrung – bei Lastwagen immer wieder fündig.

mif. Kriminell nennt der Volksmund Schummeleien, mit denen die Mitarbeitenden des Schwerverkehrszentrums Erstfeld (SVZ) konfrontiert sind. «Für uns sind es ganz nüchtern Übertretungstatbestände», hält Stefan Simmen, Leiter SVZ Erstfeld fest. Gerade verlässt ein auf Gewicht, Länge, Höhe und Breite sowie auf Einhaltung der Arbeits- und Ruhezeit-Verordnung (ARV) kontrollierter tschechischer Lastwagen ohne Beanstandung das Areal. Verdächtiger wirkt der italienische Gebrauchtwagentransporter. Weil er belegen kann, dass er in der Vorwoche bereits kontrolliert wurde und monierte Mängel behoben hat, darf auch er passieren. Zwar haben sich seit Eröffnung des SVZ 2009 Verstösse gegen die ARV halbiert. Doch haben die 57 Mitarbeitenden in Erstfeld letztes Jahr bei 5485 Fahrzeugen 8210 Widerhandlungen, meist wegen technischer Mängel, Gewichts- und Dimensionsüberschreitungen festgestellt.

Trotz ihres guten Riechers: Für die Alpen-Initiative ist diese Quote mit Befunden bei jedem dritten der insgesamt 16’264 kontrollierten Fahrzeugen viel zu hoch. Diese Verstösse treffen andere Verkehrsteilnehmende direkt und schaden der Umwelt.

Die Aufgabe des SVZ ist heikel: «Als Vollzugsorgan der Verlagerung kontrollieren wir gewissenhaft und korrekt. Stichprobenartig, umfassend und nicht-diskriminierend.» Simmen ist Polizist, kein Politiker. «Meine Mitarbeitenden müssen den Lastwagenfahrenden immer einen Tick voraus sein.» Die Kontrolltätigkeit, insbesondere der technischen Fahrzeugsysteme, sind zur Detektivarbeit geworden. «Wir tasten uns Schritt für Schritt vor. ‹Serienbüez› wollen unsere Kontrolleure nicht leisten. Wenn schon, wollen sie auch fündig werden.» Kein Lastwagen passiert Erstfeld ohne Ripshauser Zusatzschleife. Wirkt einer verdächtig, wird er als Erstes zur 15- bis 20-minütigen Polizeikontrolle der Ausweise und Bewilligungen, der Länge, Höhe, Breite, dem Gewicht, der ARV, der Ladung sowie dem technischen Zustand gebeten. Ergeben sich infolge dieser Kontrollen weitere Verdachtsmomente, erfolgt eine vertiefte Überprüfung. Werden gravierendere technische Mängel vermutet, geht es in die technische Kontrollhalle mit Untersuchung des Kabelbaums oder der Fahrzeugsteuergeräte. «Diese Gründlichkeit kostet uns auch mal einen halben Tag, führt aber beispielsweise zur Entdeckung von raffiniert verbauten Emulatoren für AdBlue-Manipulationen», sagt Simmen. Apropos: Dieser Beschiss spart aktuell mehr als 2000 Euro pro Jahr und Lastwagen.

SVZ Erstfeld : nicht funktionstüchtiger Feuerlöscher. Foto: Kantonspolizei Uri
SVZ Erstfeld : gebrochene Bremsscheibe. Foto: Kantonspolizei Uri

Ungesunde Manipulationen

Das vorschriftswidrige Umgehen der Ad-Blue Harnstoff-Zugabe erhöht die gesundheitsschädigende Stickstoffproduktion von Dieselmotoren um das Vierzigfache. «Inzwischen hält uns das Chiptuning zwecks Optimierung von Motoren und Dieselverbrauch mehr auf Trab», so Simmen. Weil Lastwagenhersteller sich Mühe geben, sparsame normgerechte Fahrzeuge herzustellen, findet er diese unverständlich wie wettbewerbsverzerrend. Zwar werden an diesem Nachmittag keine Dauerbrenner wie gebrochene Bremsscheiben, Chassisrisse, aufgeschlitzte oder abgefahrene Pneus entdeckt. «Bei den Auflegern werden wir im Gegensatz zu den Zugfahrzeugen aber öfter fündig. Weil sie öfter ausgetauscht werden und länger im Verkehr sind, fühlen sich die Fahrer weniger dafür verantwortlich.» Den Erfolgen zum Trotz: Das SVZ Erstfeld ist unverzichtbar für die Verkehrssicherheit auf Schweizer Strassen – auch weil immer wieder neue Tricks versucht werden. Rappenschinden auf Kosten von Sicherheit und Umwelt hat nach wie vor Hochkonjunktur.

Gefahr zu gross – mehr Kontrollen nötig

Die Statistiken 2021 sind ernüchternd: In den Schwerverkehrskontrollzentren wurden von 31’564 kontrollierten Fahrzeugen 11’006 (35 %) beanstandet. Rund 2432 (7 %) wurden gar stillgelegt. 58’577 Fahrzeuge wurden mobil kontrolliert, 16 % davon (9914) wurden beanstandet. Fast jedes 30. Fahrzeug (total 2218) wurde stillgelegt. Fazit: Die zu geringe Kontrollhäufigkeit in Kombination mit den zu tiefen Bussen schreckt zu wenig ab. Das Risiko zum Beschiss ist kalkulierbar. Zum Schutz aller Verkehrsteilnehmenden und der Umwelt fordert die Alpen-Initiative, dass mindestens jeder 10. Lastwagen kontrolliert wird. Prekär ist die Situation beim stark wachsenden Lieferwagenverkehr. Mobile Kontrollen zeigen: Fast jedes zweite Fahrzeug weist Mängel auf.