19. Juni 2014

Am Warenzoll in Chiasso zeigt sich, was auf den Lastwagen durch den Gotthard gefahren wird. Man kann nur staunen. Die Alpen-Initiative hat sich umgesehen.

Lastwagen mit den unterschiedlichsten Waren und Kontrollschildern am Zoll in Chiasso. Foto: Alpen-Initiative
ab. Der Zollplatz ist riesig. Hier stoppen die Lastwagen, die von Italien kommen oder dorthin fahren. Rund 25 Prozent der Camions sind leer, sie passieren die Anlage auf der Autobahn. Eros Cavadini ist Verantwortlicher des Zollinspektorats Chiasso-Strada. Unter seiner Leitung fertigt das Personal rund 3500 Fahrzeuge pro Tag an zehn Schaltern ab: Stichkontrollen bei gefährlichen Gütern, generelle Überprüfungen der Lastwagen und ihrer Ladung, Chauffeure betreuen. Die Kommunikation zwischen dem Personal und den Lastwagenfahrern ist schwierig. Man hört so viele Sprachen, dass man sich im Schatten des Turms zu Babel fühlt.

Vor zehn Jahren noch kannten sich die Chauffeure mehr oder minder alle, grüssten sich oder machten zusammen Pause. Heute herrscht die Anonymität. Auch die Arbeitsbedingungen sind deutlich härter geworden: Monatslöhne um die 700 bis 800 Euro sind die Norm. Ein Chauffeur erzählt, dass er davon seinem Chef sogar noch 150 Euro abliefern muss – weil er unterwegs im Lastwagen übernachten kann. Verkehrte Welt.

Ein beispielhafter Ausschnitt
Gianluigi Brandani arbeitet für ein Transportunternehmen aus Brescia und bringt Milchserum aus der Provinz Novara nach Frankreich. Die Lastwagen vor ihm haben italienische Kennzeichen (I), sind in der Schweiz immatrikuliert (CH), oder in Österreich (A), Rumänien (RO), Ungarn (H), Deutschland (D), Polen (PL), Niederlande (NL), Litauen (LT), Slowakei (SK), Slowenien (SLO) und Russland (RUS). Oft ist es schwierig, eine gemeinsame Sprache zu finden: die Chauffeure sprechen weder die Schweizer Landessprachen noch Englisch. Wir verständigen uns mit Zeichen und sehen uns die Dokumente an, welche sie vorzuweisen haben. Alle antworten jedoch auf die Frage, welche Waren sie transportieren. Praktisch alles könnte problemlos mit der Bahn durch die Schweizer Alpen fahren.

A: Strecke Parma–Luzern. Inhalt des Lastwagens: Plastikgranulat
SLO: Slowenien–Schweiz. Zum Recycling bestimmte Kupferdrähte
A: Ulm–Como, Gartenapparate
D: Crespellano bei Bologna–Colmar, Schneeketten für Lastwagen
A: Mapello bei Bergamo–Höchst D, Industriestahl
I: San Mauro Pascoli bei Rimini–Luzern, Boote und Zubehör
I: Mailand–Belgien, Gebrauchtwagen
PL: Porcia I–Mägenwil, Waschmaschinen
I: Mailand–Belgien und Luxemburg, Bauausrüstungen
CH: Mailand–Luzern, Früchte und Gemüse
RUS: Monza–Sankt Petersburg, Möbel
PL: Forlì–Bern, Monocalciumphosphat-Granulat (Futtermittel)
CH: Maslianico bei Como–Balerna, Stückgut
CH: Cassina De Pecchi–Lugano, Watte
I: Val di Sangro bei Pescara–Frankreich, neue Autos der Marke Peugeot, die in Italien hergestellt und in Frankreich verkauft werden sollen
RUS: Mailand–Basel, er weiss nicht, was er geladen hat («Wie ist das möglich?», fragen wir in der Zeichensprache. Er breitet die Arme aus, gibt keine Antwort und geht.)
I: Rho bei Mailand–Coldrerio, Diesel
LT: Alba–Frankfurt, Diesel
NL: Holland–Carate Brianza, Schnittblumen und Pflanzen
I: Orsenigo–Melano TI, Pflanzenerde und Pflanzen
NL: Albenga–Bottrop, Pflanzen (der Fahrer verkehrt zwei Mal wöchentlich zwischen Deutschland und Italien für ein Warenhaus)
NL: Kirchheim D–Mailand, Computer- und Elektronik-Bestandteile
D: Montegaldella bei Vicenza–Escholzmatt, Plastik
D: Montano Lucino bei Como–Mannheim, Traktoren-Bestandteile
RUS: Italien–Frankreich, Teigwaren
H: Massa–Frankreich, Katalysator-Flüssigkeiten
I: Grandate bei Como–Lugano, Industrie-Säuren
CH: Montano Lucino–Novazzano TI, Kleider
H: Modena–Bülach, Papier
A: Turin–Stuttgart, Kleider, Schuhe, Auto-Bestandteile
I: Milano–Genf, Design-Eisentreppe
RO: Villadossola (Domodossola)–Porta Westfalica D, Leim
I: Como–Bellinzona, Lift-Teile
I: Peschiera Borromeo bei Mailand–Sankt Gallen, Früchte und Gemüse. Der Chauffeur ist Rumäne und verkehrt drei Mal in der Woche über Chiasso.
SK: Mailand–Belgien und Holland, Stahlröhren, Medikamente, unterschiedliche Waren
D: Novi Ligure–Mannheim, Eisenspulen
CH: Kreuzlingen–Mailand, Schokolade
I: Mailand Flughafen–Zürich Flughafen, Kacheln, Plastik, Käse, Mozzarella, Medizinisches, Jeans und andere Kleidung (fährt jeden Tag in einer der beiden Richtungen und transportiert Waren zwischen den Flughäfen von Mailand und Zürich)
I: Sardinien–Deutschland und Holland, Brot und Käse
CH: Novara–Rancate (TI), Heizöl
I: Modena–Balerna (TI), Ersatzteile für Personenwagen
I: Mailand–Flughafen Zürich, unterschiedliche Waren (der Fahrer führt einige Male pro Woche Ware nach Zürich und kehrt leer nach Italien zurück)
NL: Albenga–Köln, Pflanzen
I: Novara I–Port-sur-Saône F, Milchserum, bei der Rückfahrt wird französische Milch nach Italien gebracht.

Gianluigi Brandani bringt mit seinem Lastwagen also Milchserum nach Port-sur-Saône. Auf der Rückfahrt wird er französische Milch zur Herstellung von Käse nach Italien fahren. «Es sind die Bestimmungen der Europäischen Gemeinschaft», sagt er und fügt an: «Wir müssen Milch aus Frankreich importieren und die italienische Produktion beschränken. Das sind halt so Warenaustausche. Jedenfalls wird die französische Milch nicht zu italienischem Mozzarella verarbeitet, sondern zu industriell gefertigtem Käse», sichert er uns zu. Seit 25 Jahren fährt Gianluigi auf den Strassen Europas hin und her. Er ist nicht ungern in der Schweiz. «Aber der Verkehr hat stark zugenommen und häufig stehen wir im Stau. Aber das ist rund um alle grossen Städte so, nicht nur in der Schweiz», sagt er abschliessend und breitet die Arme aus.