21. Januar 2013

Mario Branda, seit 2012 Stadtpräsident des Tessiner Hauptorts Bellinzona, äussert sich entschieden gegen eine zweite Strassenröhre am Gotthard.

Die perfekte Lösung gibt es nicht – aber eine zweite Röhre schafft nur neue Probleme

Wie würde sich die Verdoppelung der Strassenröhren auf die Gemeinde Bellinzona auswirken?
Eine zweite Röhre würde mit Sicherheit mehr Verkehr mit sich bringen, insbesondere Transitlastwagen auf der Autobahn, welche das Gebiet von Bellinzona durchquert. Das würde die Luft weiter verschmutzen, dabei leben wir schon heute in einem Kanton, der eine sehr hohe Belastung mit Schadstoffen aufweist. Die zweite Röhre wäre mit Bestimmtheit die falsche Lösung für das Tessin

Wie aber kann man die Zeit der Sanierung überbrücken?
Die magische und perfekte Lösung gibt es nicht. Ich bedaure es jedoch sehr, dass die Befürworter die zweite Röhre als Allerheilmittel für sämtliche Übel anpreisen, ohne auf die schwer wiegenden Konsequenzen hinzuweisen, welche dieses kostspielige Bauwerk auf unsere Gesundheit haben würden. Es würde sich auch sehr negativ auf die Sicherheit auf unseren Autobahnen und die Verlagerung der Güter von der Strasse auf die Schiene auswirken. Die einzige vernünftige Lösung besteht darin, verschiedene Massnahmen miteinander zu verknüpfen: den neuen Bahn-Basistunnel benutzen, Verladezüge für Autos und Lastwagen, längeres Offenhalten der Pässe, vielleicht sogar das ganze Jahr über, die Sanierung nur in den Wintermonaten ausführen. Die Sanierung muss andere unternehmerische Konzepte miteinbeziehen wie etwa den Pendelzug für Güter, der von RailValley vorgeschlagen wird.

Sie haben die Verladezüge angesprochen. Wo sollten die Verladestationen für Transitlastwagen sein? In Chiasso, in Italien?
Es ist wichtig, dass diese Frage rasch geklärt wird. Interessant wäre eine solche Station in Chiasso, weil sie viele Arbeitsplätze schaffen würde. Die Frage stellt sich aber, ob die nötigen Landflächen zur Verfügung stehen und ob es Sinn macht, die Lastwagen an eine Stadt heranzubringen, deren Umwelt schon heute stark belastet ist. Eine andere Möglichkeit wäre, die Verladestationen jenseits der Grenze in Italien zu bauen, finanziert und betrieben von der Schweiz. So könnten auch Arbeitsplätze garantiert werden. Es ist wichtig, dass die Eidgenossenschaft hier rasch Lösungen entwickelt. Auf diese Weise wird der Kanton Tessin immer gut mit dem Rest der Schweiz verbunden bleiben.

Sie sind Jurist. Was halten Sie von der oft gebrauchten Formulierung «Zweite Röhre ohne Kapazitätserweiterung»?
Abgesehen von der technisch-juristischen Frage – auf der politischen Ebene ist diese Variante ein sehr grosses Problem, vielleicht nicht so sehr heute, aber ganz gewiss in ein paar Jahren. Der Druck aus Europa, von den Strassentransport-Unternehmen und der Politik würde mit Sicherheit ständig anwachsen, die Kapazität zu erweitern und die vier Spuren zu nutzen. Diesem Druck könnte man kaum mehr standhalten!

* Mario Branda, SP, hat in Genf Rechtswissenschaften studiert und 1986 das Anwaltspatent erworben. 2001 wurde er Staatsanwalt und 2009 stellvertretender Generalstaatsanwalt des Kantons Tessin. Er ist mit Franca verheiratet.