16. November 2017

Im ersten Halbjahr 2017 sind erneut weniger Lastwagen durch die Alpen gefahren als in der Vorjahresperiode. Das ist erfreulich, genügt aber nicht, um dem Alpenschutzartikel gerecht zu werden. Die Bahn wiederum hatte einen guten Sommeranfang, aber das wars dann. Trotzdem scheint der Bund nicht gewillt, die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene mit neuen Massnahmen zu beschleunigen, wie ein Gespräch mit BAV-Direktor Peter Füglistaler zeigt.

BAV-Direktor Peter Füglistaler zu den Entwicklungen auf Strasse und Schiene

Die Halbjahreszahlen von Januar bis Juni zeigen, dass in der Schweiz die alpenquerenden Lastwagenfahrten abnehmen. 2017 werden wohl erneut weniger als 1 Million unsere Berge durchqueren. Damit bestätigt sich ein Trend, der seit ein paar Jahren anhält. Dies im Gegensatz zur Entwicklung zwischen Österreich und Italien: Am wichtigsten Alpenübergang, dem Brenner, nimmt die Lastwagenzahl seit Jahren kontinuierlich zu. Inzwischen wählen mehr als 2 Millionen Lastwagen pro Jahr diese Route!

Alpen-Initiative: Herr Füglistaler, Sie sind Direktor des Bundesamts für Verkehr BAV und mitverantwortlich für die Entwicklung des alpenquerenden Güterverkehrs. Was macht die Schweiz besser als ihre Nachbarländer?
Peter Füglistaler: Die Schweiz hat im Unterschied zu Österreich und Italien eine Verlagerungspolitik. Sie besteht unter anderem aus dem Bau der Neat, der LSVA sowie dem Nacht- und Sonntagsfahrverbot. Diese langfristig angelegten Massnahmen führen zu einer nachhaltigen Verschiebung der Gütertransporte von der Strasse auf die Schiene.

Ein Jahr nach der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels sind die Zahlen für die Bahn ernüchternd. Im ersten Halbjahr hat die Gütermenge auf der Schiene leicht abgenommen. Was läuft hier falsch?
Wir haben schon bei der Eröffnung 2016 gesagt, dass es eine gewisse Anlaufzeit braucht, auch wegen diverser Baustellen in der Schweiz und Italien. Sehr erfreulich ist, dass die Bahn beim alpenquerenden Verkehr im Juli rekordverdächtig zugelegt hat. Dann kam im August leider der Unterbruch in Rastatt.

Die vom Transitverkehr direkt betroffenen Alpenregionen, welche sich im Netzwerk iMonitraf zusammengeschlossen haben, wollen den Güterverkehr von der Strasse auf die Schiene verlagern. Wie stark engagiert sich der Bund im Ausland, damit die Verlagerung Fortschritte macht?
Es gibt einen Dialog sowohl auf Minister- als auch auf Ämterebene. Mit Italien und Deutschland diskutieren wir vor allem die Neat-Anschlüsse. Mit Österreich drehen sich die Diskussionen um die Höhe der Abgaben für den Schwerverkehr. Österreich ist in diesem Punkt als EU-Mitglied eingeschränkter als die Schweiz. In Österreich merken wir zudem, dass Wien wegen angeblichem Umwegverkehr eher skeptisch gegenüber der Schweizer Position ist. Das Land Tirol hingegen, das vom Brenner-Verkehr direkt betroffen ist, wünscht weitere Massnahmen, wie das jetzt eingeführte Transportverbot auf der Strasse beispielsweise für Abfall oder Steine.

Das Verlagerungsziel von jährlich maximal 650’000 alpenquerenden Lastwagen muss 2018 erreicht werden. Gemäss der bilateralen Verträge mit der EU hat die Schweiz die Möglichkeit, eine Alpentransitabgabe einzuführen, welche spezifisch den Transitverkehr belasten würde. Warum macht der Bund davon nicht Gebrauch?
Unsere Nachbarländer und die EU wollen das nicht. So können wir darüber auch keine Verhandlungen führen. Unsere Strategie ist es, die LSVA kontinuierlich zu erhöhen.

Die LSVA liegt aktuell bei knapp 300 Franken und somit weit unter dem Maximalbetrag von 325 Franken. Hier gibt es Raum für die Alpentransitabgabe.
Wie gesagt, ohne Einverständnis der EU geht das nicht. Wenn wir das einfach so einführen, dann kann das Gegenmassnahmen provozieren. Der Bundesrat will deshalb keine einseitigen Massnahmen ergreifen.

In diesen Tagen erscheint der Verlagerungsbericht. Der Bundesrat muss aufzeigen, wie er das Verlagerungsziel erreichen will. Gibt es konkrete Vorschläge?
Noch ist unsere Bahninfrastruktur nicht fertig, es fehlen der Ceneri-Basistunnel sowie der durchgängige 4-Meter-Korridor am Gotthard. In Italien sind neue Terminal-Anlagen im Bau. Erst wenn das alles fertiggestellt ist, wird der Bundesrat die Lage neu beurteilen.

Das wird erst 2020 der Fall sein – und das Schweizer Volk wird weiter vertröstet.
Der Bundesrat wird die Situation beim alpenquerenden Verkehr wohl erst 2021 neu beurteilen, wenn die Neat wirklich voll in Betrieb ist und wir ein Jahr Erfahrungen sammeln konnten.

Zurück zu den Lastwagen: Am Gotthard gehen die Fahrten zurück, am San Bernardino und am Simplon steigen sie. Wie will der Bund an diesen Übergängen eine Trendwende einleiten?
Diese Zunahme hat stark mit regionalen Transporten zu tun. Beim Simplon fällt auf, dass die Gefahrguttransporte vor allem für die chemischen Betriebe im Wallis bestimmt sind. Wir werden das Gespräch mit den Verantwortlichen dieser Betriebe suchen, um eine Verlagerung auf die Schiene anzustossen.

Im Sommer wurden nach dem Streckenunterbruch in Rastatt viele Bekenntnisse abgelegt. Welche handfesten Massnahmen sind tatsächlich vorgesehen?
Wir werden alles daran setzen, zusammen mit dem deutschen Verkehrsminister während des Internationalen Verkehrsforums in Leipzig auch 2018 eine Korridor-Konferenz auf Ministerebene zu organisieren, wie wir das in diesem Frühling bereits gemacht haben. Wir werden zum Beispiel vorschlagen, die Investitionen in die Bahninfrastruktur schneller voranzutreiben und die links- und rechtsrheinischen Strecken besser zu koordinieren.

Echo 148