23. September 2013

Unsinnige Transporte sind nicht zufällig, sondern haben ihre Ursachen. Diesen will die Alpen-Initiative mit einem Kompetenzzentrum für transporteffizientes Wirtschaften nachgehen – damit die Prinzipien der Nachhaltigkeit künftig auch beim Transport beachtet werden.

aa. Zwei Zeitungsmeldungen, die aufgefallen sind: Ein Jungunternehmen will gleichzeitig Fisch und Gemüse züchten. Aus einem Kilo Fischfutter sollen ein Kilo Fisch und zusätzlich fünf Kilo Gemüse entstehen. Und das genau dort, wo die Konsumentinnen und Konsumenten versorgt werden wollen: mitten in der Stadt Basel. Würden viele Nahrungsmittel im Sinne dieses «Urban Farming», dieser städtischen Landwirtschaft, erzeugt, könnten viele Transporte von Nahrungsmitteln über hunderte von Kilometern eingespart werden.

In einer andern Meldung wird berichtet, dass die Brauerei Eichhof ihre Bierflaschen seit ein paar Monaten nicht mehr am Produktionsort in Luzern, sondern in Chur abfüllt und von Domat/Ems aus verteilen lässt. Auch wenn der Transport von Luzern nach Chur auf der Schiene erfolgt, so ist der Transport unsinnig und dieses Business-Modell das Gegenteil von transporteffizient. Denn das Hauptabsatzgebiet von Eichhof liegt in der Zentralschweiz. Mit welchem Verkehrsmittel die abgefüllten Flaschen nach Luzern und Umgebung zurücktransportiert werden, wird nicht erwähnt.

Kurze Wege oder Globalisierung?
Was die Basler «Stadt-Bauern» anstreben, ist etwas, was vor hundert Jahren noch
selbstverständlich war: Produktion möglichst nahe beim Verbrauchsort. Was die Brauerei Eichhof praktiziert, entspricht dem gängigen Globalisierungstrend, der angetrieben wird vom billigen Erdöl. Der Transport ist als Kostenfaktor für viele Unternehmen schlicht und einfach vernachlässigbar. So verbauen reiche Chinesen Valsersteine, während wir unsere Strassen und Plätze mit chinesischen, indischen oder brasilianischen Steinen pflastern. Dass unsere Kleidung, die Elektronik, der ganze Inhalt der Spielzeugkiste und viele unserer Autos aus dem fernen Osten kommen, daran haben wir uns genauso gewöhnt wie an sprudelndes Mineralwasser aus italienischen Quellen, welches unser fast gratis vorhandenes und hochwertiges Trinkwasser aus der Leitung ersetzt.

Sinnlose Transporte
Mit der Verleihung des Roten Teufelssteins hat die Alpen-Initiative in den vergangenen Jahren auf besonders krasse Beispiele von unsinnigen Transporten aufmerksam gemacht, zum Beispiel auf den im italienischen Ancona oder in Belgien abgefüllten Schweizer Schlagrahm, der für den schweizerischen Markt bestimmt ist. Jetzt wollen wir einen Schritt weiter gehen und ein Kompetenzzentrum für transporteffizientes Wirtschaften initiieren.

Transporte sind nicht einfach Naturereignisse. Statistiken zeigen, dass in Portugal für jeden Euro Bruttosozialprodukt fast 50% mehr Gütertransport-Kilometer anfallen als in Dänemark. Zur Erklärung solcher Unterschiede sind wir auf Spekulationen angewiesen. Sicher erzeugen Ausfuhrsubventionen für landwirtschaftliche Erzeugnisse längere Transportwege. Auch Ursprungsregeln können Unsinnstransporte bewirken. Bekannt sind die Schweine, die zum Schlachten nach Parma transportiert werden, damit sie danach als Parma-Schinken in ganz Europa verkauft werden können. Oder die Joghurts, die aus deutscher Milch bestehen und in Deutschland verkauft werden, aber in Athen hergestellt worden sind.

Für Reportagen im «echo» haben wir in die Lastwagen «hineingeschaut», die auf der Gotthardachse durch die Alpen fahren. Wir konnten uns nur die Augen reiben:
Da werden leere Behälter von Belgien bis nach Neapel gefahren, alte Pneus von Luxemburg nach Como, WC-Papier aus der Nähe von Mainz nach Italien, Mercedes-Ersatzteile von Karlsruhe nach Neapel, Mozzarella von England nach Italien. Ebenfalls auf Lastwagen werden Zahnpastadeckeli, Beachvolleyballsand, flüssige Schokolade, zugeschnittener Filz, Kartoffelmehl, Keilriemen, Maschinenteile, Polystyrol und Smarts durch den Gotthard gefahren. Warum nicht auf der Bahn und warum überhaupt?

Transporte vermeiden
Die kontinuierliche Erweiterung der Transportinfrastruktur-Kapazitäten schafft die Voraussetzung für das Anwachsen dieses Transportirrsinns, der uns den Atem nimmt, den Schlaf raubt und die Strassen unsicher macht. Unterschiedliche Vorschriften in den verschiedenen Ländern oder unterschiedliche Löhne werden dabei von cleveren Unternehmern genutzt. Transport hin und her! Unsere Wegwerfmentalität und die gewollte Verkürzung der Lebensdauer von Gütern treiben das Transportkarussell zusätzlich an.

Das von der Alpen-Initiative im Kanton Uri geplante und von den Kantonen Uri und Basel-Stadt sowie von Stiftungen unterstützte Kompetenzzentrum für transporteffizientes Wirtschaften soll Wissenslücken in diesem Bereich füllen und auch dem Gütertransport Nachhaltigkeit beibringen. An einer Kick-off-Veranstaltung in Altdorf im September wird über die genauen Arbeitsschwerpunkte beraten. Soll vor allem ein Forschungszentrum, ein Innovationszentrum, ein Start-up-Zentrum oder ein Zentrum für Wissensmanagement & Vernetzung entstehen? In jedem Fall wird mit der neuen Institution ein Beitrag zur Entkopplung des Güterverkehrsaufkommens vom Bruttoinlandprodukt (BIP) geleistet werden. Durch die Vermeidung von ökologisch und gesamtwirtschaftlich sinnlosen Transporten kann die Nachhaltigkeit unserer Wirtschaft verbessert werden.

> Güterverkehrsinstitut

> NZZ: Urban Farming