19. August 2020

Der Schienengüterverkehr auf der Gotthardachse wird mit der Eröffnung des neuen, 15,4 km langen Ceneri-Basistunnels aller Voraussicht nach zunehmen, denn der Produktivitäts- und Kapazitätsgewinn begünstigt die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Es werden aber auch insgesamt mehr Güter befördert werden.

mf. Bis 2030 soll die gesamte Güterverkehrsmenge auf der Schiene um 30 % zunehmen, erwartet das Bundesamt für Verkehr (BAV). Mit einem Plus von 40 % am meisten zulegen dürfte bis dann der Unbegleitete Kombinierte Verkehr (UKV) mit Sattelaufliegern, Containern und Wechselbrücken. Gemäss Verlagerungsbericht 2019 sollte gleichzeitig die Fahrtenzahl von Lastwagen via Gotthard, San Bernardino und Simplon von heute noch über 900’000 auf bis 860’000 Fahrzeuge zurückgehen. Ohne Neat würde die Fahrtenzahl bis 2030 um mindestens 200’000 Fahrzeuge höher liegen, schätzt das BAV.

Politische Massnahmen
Es genügt nicht, einfach Tunnels zu bauen. Es braucht auch den politischen Willen und lenkende Massnahmen zur Verlagerung. So hat das Parlament im Juni auf Druck der Alpen-Initiative einer verlängerten finanziellen Förderung der alpenquerenden Güterbahn und damit bis im Jahr 2030 einer Aufstockung von 385 Millionen Franken, respektive einem jährlichen Zahlungsrahmen von 55 Millionen zugestimmt. Ab 2021 werden zudem die Trassenpreise gesenkt, was die Bahnbetreiber um 90 Millionen pro Jahr entlastet und sie wettbewerbsfähiger macht.

Auch die nicht voll ausgereizte leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) steht vor der von uns geforderten Überarbeitung. Zwischenzeitlich sollen die Abgasklassen EURO IV und V nicht mehr in eine günstigere Kategorie fallen. Der Verlagerungsdruck soll zudem durch zusätzliche Schwerverkehrskontrollen erhöht werden. So sollen etwa ab 2022 oder 2023 Lastwagen auch in Süd-Nord-Richtung im neuen Kontrollzentrum Giornico TI kontrolliert werden.

Italien macht vorwärts
Italien hat die Leistungsfähigkeit der drei Zulaufstrecken in die Schweiz in den letzten 20 Jahren durch eine Reihe unspektakulärer, aber wirksamer Ausbauten wie neue Kreuzungsstellen, bessere Signale für kürzere Zugfolgen und punktuelle Doppelspurausbauten gesteigert. Deutschland hingegen hat die Realisierung der vierspurigen Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel auf 2040 hinausgeschoben. Das kann die Schweiz nicht tolerieren. Die Anhebung der Kapazität für den Schienengüterverkehr zwischen Karlsruhe und Basel um rund 50 Züge auf mindestens 225 Züge pro Tag reicht nicht. Mit Frankreich und Belgien strebt die Schweiz verbindliche Vereinbarungen zum Ausbau des linksrheinischen Bahn-Korridors auf französischem Boden entlang der Route Nordsee – Mittelmeer an. Auch das soll die Verlagerung der Güter auf die Schiene fördern.

Der neue durchgehende 4-Meter-Korridor via Gotthard und Ceneri ermöglicht aber schon jetzt die Verlagerung zusätzlicher hochprofiliger Sattelauflieger. Das aber kann erst dann voll greifen, wenn auch die Zufahrtsstrecken für deren Durchfahrt gerüstet sind. Währenddessen investiert China in den Ausbau der norditalienischen Häfen, um noch mehr Waren nach Europa zu bringen. Dadurch dürfte der Verkehr Richtung Norden zunehmen. Die Alpen-Initiative bezweifelt, dass im Gegenzug der Nord-Süd-Verkehr signifikant abnimmt. Der steigenden Gesamtbelastung der Gotthardachse auf Strasse und Schiene gilt es deshalb, energisch entgegenzuwirken.

Daniel-Salzmann

Nachgefragt bei Daniel Salzmann, SBB-Gesamtprojektleiter Nord-Süd-Achse Gotthard.

«Der intensive Mischverkehr ist eine grosse Herausforderung»

Daniel Salzmann von SBB Infrastruktur ist Gesamtprojektleiter der Nord-Süd-Achse Gotthard. Er ist zuversichtlich, dass der Ceneri-Basistunnel im Dezember 2020 in Betrieb gehen kann.

Mit der Inbetriebnahme des Ceneri hat der Bund insgesamt 19,1 Milliarden Franken in die Neue Alpentransversale NEAT investiert. Was bedeutet dieser Schritt für die SBB?

Für die SBB ist die Fertigstellung der NEAT ein Quantensprung und für den Güterverkehr eine signifikante Produktivitätssteigerung zwischen Basel und Chiasso respektive Luino. Das bringt eine kürzere Transitzeit, bis zu 750 Meter lange Züge, grössere Ladungen dank des durchgängigen 4-Meter-Korridors weniger Bedarf an Lokomotiven dank der flachen Strecke und mehr Gleiskapazität für Züge. Für die Reisenden bringt die NEAT kürzere Reisezeiten zwischen der Deutschschweiz und dem Tessin sowie den Destinationen in Italien.

Vieles ist umgesetzt, manches noch nicht. Was erwartet uns noch?

Mit dem Gotthard- und dem Ceneribasistunnel sind die NEAT-Bauwerke auf der Gotthardachse erstellt. Der realisierte 4-Meter-Korridor erlaubt zudem die Beförderung von Sattelaufliegern mit vier Metern Eckhöhe. Dazu haben die SBB weitere Projekte auf den Zulaufstrecken realisiert, oder sie befinden sich im Bau: Bau einer Doppelspur am Zugersee, Umbau des Bahnhofs Arth-Goldau, Erneuerung der Tunnels am Axen, Neubau des Kantonsbahnhofs Uri, Umbau der Bahnhöfe Bellinzona und Chiasso, Ausbau der Locarno-Linie sowie Projekte zur Verkürzung der Zugfolgezeit auf der gesamten Gotthardachse. Noch bleiben bis Ende 2025 Arbeiten im Gotthardbasistunnel, auf der Locarno-Linie, zwischen Bellinzona und Giubiasco, zwischen Lugano und Mendrisio und in Chiasso auszuführen.

Was steht Ihnen bis zur Ceneri-Eröffnung noch bevor?

Eine der grössten Herausforderungen ist die Integration der neuen Anlagen  in das bestehende System und die Leittechnik. Dank des ausserordentlichen Einsatzes aller Projektbeteiligten kann die Inbetriebnahme des Ceneri-Basistunnels trotz Covid-19 per 13. Dezember 2020 gesichert werden.

Worin sehen Sie die künftigen Herausforderungen auf der Nord-Süd-Achse?

Der intensive Mischverkehr bestehend aus Personenverkehr mit dem Fernverkehr mit hohen Geschwindigkeiten und S-Bahn mit einem dichten Netz von Haltestellen sowie dem Güterverkehr mit verschiedenen Verkehrsunternehmungen mit heterogenem Rollmaterial, langen und schweren Zügen – und das grenzüberschreitend nach Italien – ist eine grosse Herausforderung für einen stabilen und pünktlichen Betrieb. Zudem gilt es, im touristischen Verkehr starke Spitzen abzudecken. Unter der hohen Auslastung bleibt auch die Erhaltung und Erneuerung der Infrastruktur unter laufendem Bahnbetrieb während Nachtintervallen eine grosse Herausforderung.