16. November 2021

Wir fordern vom Bundesrat, dass er die Verlagerung des alpenquerenden Verkehrs mit unserem 4-Punkte-Plan vorantreibt – mit besonderem Akzent auf der Schweizer Wirtschaft.

mif. Laut Verlagerungsbericht 2021 ist das Ziel von 650’000 alpenquerenden Lastwagenfahrten noch lange nicht erreicht. Ein Grund dafür ist die einseitige Fokussierung auf den Transitverkehr durch die Schweiz. Unverständlich, denn die Erläuterung zum Alpenschutzartikel in der Bundesverfassung sagt klar: «Dieses Ziel wird durch eine Gleichbehandlung aller Transporte erreicht.» Import-, Export- und Binnenverkehr müssen ebenso zur Verlagerung beitragen wie der Transitverkehr. Dieses Gleichgewicht ist aus den Fugen geraten, wie Peter Füglistaler, oberster Verkehrsbeamter des Bundes, jüngst in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung betont hat: «Der Transitverkehr macht heute nur noch rund 40 % aus. Wenn wir uns [… auf diesen] beschränken, werden wir das Verlagerungsziel nie erreichen. Das ungenutzte Potenzial im inländischen Güterverkehr ist gross.»

Bis Ende Juni verzeichneten Gotthard, San Bernardino, Grosser St. Bernhard und Simplon 457’000 Lastwagenbewegungen, bis Ende 2021 dürften es gar bis gegen 900’000 sein. Während sich der Transitverkehr in die richtige Richtung entwickelt, stagniert der Inlandverkehr seit Jahren. So geht es nicht weiter. Der Bundesrat muss Unterstützung leisten, damit der Schienentransport im unfairen Wettbewerb mit der zu günstigen Strasse bestehen kann. Im Gegenzug hat er guten Grund dazu, die viel zu günstigen Lastwagentransporte zu verteuern. Denn trotz der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) bleiben die Lastwagentransporteure jährlich 1,35 Milliarden Franken Schäden an Umwelt, Gesundheit und anderem schuldig.

Der Bundesrat kann die Verlagerung auf die Schiene mit vier Hebeln entscheidend stärken.

1) Mehr Binnen-, Import- und Exportverkehr auf die Schiene verlagern

Andere Länder fördern die Verlagerung dieser Verkehre vehement, indem sie sich konkrete Ziele setzen. Ähnlich wie beim alpenquerenden Verkehr braucht die Schweiz ein verbindliches Verlagerungsziel für den Anteil des Schienengüterverkehrs im Import-, Export- und Binnenverkehr. Meist fördern andere Länder die Schiene, indem sie vor allem die Preise senken, die die Zugskompositionen für ihr Zeitfenster zur Schienennutzung (Trassenpreise) bezahlen. Die Schweiz hat hier den Anschluss verpasst. Sie muss den Schienentransport verbilligen, indem sie die Trassenpreise senkt. Auch brauchen Industriegebiete, Logistikflächen und Verteilzentren Gleisanschlüsse. Wer solche Infrastrukturen neu erbaut, muss diese Anschlüsse zwingend erstellen. Das Angebot, ganze Lastwagen auf die Schiene zu verladen (Rollende Landstrasse RoLa), hat 2019 rund 87’000 Strassentransporte durch die Alpen verhindert. Entsprechend braucht es nun ein tragfähiges Zukunftsmodell, damit diese Transporte nicht auf die Strasse zurückschwappen.

2) LSVA für mehr Verlagerung und Kostenwahrheit weiterentwickeln

Der Bundesrat muss die Verlagerung bei der Revision der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) 2022 ins Zentrum stellen. Der Wettbewerb zwischen Strasse und Schiene im Schwerverkehr muss fairer gestaltet werden. Dazu muss die neue LSVA verursachergerecht ausgestaltet werden. Statt sämtliche externe Kosten an Bevölkerung, Umwelt und Wirtschaft abzuwälzen, soll die Lastwagenbranche diese neu selber tragen. Soll Kostenwahrheit hergestellt werden, muss sie mit jährlich 1,35 Milliarden Franken für Luftverschmutzung, Lärm, Klima, Natur- und Landschaft, Unfälle und Stauzeit aufkommen. Weil es eine Handhabe braucht, um die Halter von CO2-intensiven Fahrzeugen stärker zur Kasse zu bitten, muss ein neues Klimaelement eingeführt werden. Dieses soll die grossen technologischen Fortschritte bei Lastwagen mitberücksichtigen. Fossilfrei betriebene Lastwagen sollen begünstigt werden. Aber gänzlich befreit von der LSVA dürfen sie nicht auf der Strasse verkehren. Schliesslich produzieren sie zwei Drittel der externen Umweltkosten, die ein moderner Diesellastwagen verursacht.

3) Innovationen im Güterverkehr zum Durchbruch verhelfen

Lastwagen sind Schwergewichte beim CO2-Ausstoss. Entsprechend muss der Bundesrat ambitionierte Neuwagen-Flottenziele zur Senkung der CO2-Emissionen im Gesetz verankern. Dies mindestens im Gleichschritt mit der EU. Zudem gelangen viele Güter nicht bahnverladetauglich in den Verkehr. Gegen 95 % der per 2020 alpenquerenden 863’000 Lastwagen sind nicht kranbar. Der Bundesrat muss Sattelauflieger mit einem neuen Förderprogramm kranbar machen. Erfüllen Sattelauflieger diese Voraussetzungen nicht, sollen sie ab 2030 in der Schweiz nicht mehr eingesetzt werden dürfen.

Die EU und mit ihr die Schweiz hat sich soeben auf eine einheitliche digitale automatische Kupplung geeinigt. Mit Umrüstkosten von 20’000 Franken pro Güterwagen können Zugskompositionen künftiger viel schneller und effizienter rangiert werden. Zeit bedeutet in der Logistik viel Geld. Deswegen muss der Bund Fördergelder bereitstellen, um die Flotte von insgesamt 40’000 Güterwagen auf dem Schweizer Bahnnetz zu modernisieren.

4) Verkehrssicherheit für Mensch und Umwelt erhöhen

Ein Verbot der Gefahrguttransporte am Simplon ist zwingend. Damit verbannt der Bundesrat ganze 11’000 Lastwagen pro Jahr auf die Schiene. Gefahrguttransporte gehören auch in der Fläche auf die viel sicherere Schiene. Mindestens ab einer gewissen Transportdistanz.

Wirkung versprechen auch verstärkte Schwerverkehrskontrollen: Die Statistik 2020 beanstandet bei einem Drittel der kontrollierten Lastwagen und gar bei fast jedem zweiten kontrollierten Lieferwagen Sicherheitsmängel. Da nur 4 % kontrolliert werden, schlüpfen viele mangelhafte Fahrzeuge unter dem Radar durch. Deswegen fordert die Alpen-Initiative, dass bis 2024 mindestens 10 % der alpenquerenden Lastwagen mobil und stationär durch die Schwerverkehrskontrolle müssen. Selbst mit Inbetriebnahme des neuen Maxi-Kontrollzentrums Giornico (TI) wird dieses Ziel deutlich verfehlt.

Echo 168, Cartoon Diego Balli

Detailhandel: verpasste Gleisanschlüsse, verpasste Chancen

mif. Grosse Importmengen, riesige Verteilzentren entlang der Hauptverkehrsachse von der Ost- bis in die Westschweiz, tägliche Zulieferungen an Hunderte von Verkaufsstandorte. Die Logistik von Detailhändlern, wie Migros und Coop, fallen im Schweizer Güterverkehr enorm ins Gewicht. Diese nutzen sowohl von Verteilzentren zu Verteilzentrum wie auch alpenquerend die Schiene und tragen damit die Verlagerung mit. Die Aldi- und Lidl-Warenverteilzentren und 220 (Aldi Suisse) bzw. die 140 (Lidl)-Filialen in der Schweiz werden ausschliesslich per Lastwagen beliefert.

Migros ist die grösste Kundin von SBB Cargo, Coop betreibt mit Railcare ein eigenes, auf den kombinierten Verkehr spezialisiertes Logistikunternehmen. Migros wickelt 50 % des Volumens im Binnenverkehr auf der Schiene ab, trotz der Feinverteilung, die nur mit Lastwagen zu machen ist. Coop gibt auf Anfrage an, dass das Unternehmen 2020 dank der Verlagerung auf die Schiene 10 Millionen Lastwagenkilometer und 9400 Tonnen CO2 einsparte. Beide orangen Riesen nutzen zumindest auch alpenquerend die Schiene. Riesige Mengen werden auch importiert: Mehrheitlich über die Schiene, wie Migros am Beispiel von Longobardi-Pelati veranschaulicht. Diese werden in Neapel auf die Schiene verladen und gelangen so über die Alpen in die Deutschschweiz. Coop gibt zur Auskunft, dass die Importe aus Übersee via Nordhäfen zu zwei Dritteln per Rheinschiff und einem Drittel per Zug in die Schweiz gelangen.

Während Lidl auf unsere Anfrage nicht reagiert hat, gibt Aldi Suisse zu, die Schiene nicht zu nutzen. Immerhin entlastet der Discounter den Importgüterverkehr, indem er zu 50 % Schweizer Produkte anbietet. Er nutze aber moderne Lastwagen und laste diese optimal aus. Auf die Schiene zu gehen, komme für Aldi Suisse aus Effizienzgründen nicht in Frage.

Aus Sicht der Alpen-Initiative hat es die Politik beim Markteintritt von Aldi und Lidl verpasst, von diesen zu fordern, einen Mindestanteil der Konsumgüter auf der Schiene zu importieren und zu verteilen. Gerade deswegen ist es umso wichtiger, Gleisanschlüsse bei Neubauten einzuverlangen.