20. November 2018

Die europäischen Alpen flössten den meisten Menschen noch bis Anfang des 17. Jahrhunderts Furcht und Schrecken ein. Man glaubte an Dämonen, wenn die Naturgewalten zuschlugen und der Berg bebte, versuchte aber gleichzeitig, dem Teufel ein Schnippchen zu schlagen – was mit der Teufelsbrücke ja anscheinend gelang.

Mit den ersten Bezwingern der verschiedenen Bergspitzen, den nachfolgenden Bergfotografen und den ersten Touristen, denen immer weitere folgten, verlor sich weitgehend die Angst vor den Alpen, die im Laufe des letzten Jahrhunderts zunehmend domestiziert, möbliert und befahrbar gemacht wurden.

Heute müssen die Alpen herhalten, um Sehnsüchte zu erfüllen: Sei es, um so schnell wie möglich in den Süden zu reisen, sei es, um an ihnen unsere Kräfte zu messen oder einfach um sich in der Natur zu vergnügen. Manchmal auf die unsinnigste Art und Weise, wenn beispielsweise eine bekannte Automarke mit dem Slogan wirbt: «Der Berg ruft, die Kurven schreien!» Der Individual- und gewerbliche (Transit-)Verkehr wächst, die Vergnügungsparks, Events und Highlights in den Alpen ziehen Jahr für Jahr eine wachsende Zahl von Besuchern an.

Es war der Zufall, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, welcher mich dieses hintersinnige Bild machen liess. «Der Berg bebt», nennt sich das Schlagerfestival, das bis 2016 am Flumserberg stattfand und welches jeweils massenhaft Zuschauer in die Berge lockt.

Ich würde behaupten, der Berg schreit, wenn das ewige Eis schmilzt, der Permafrost sich löst und die Felsen bröckeln. Die Geschwindigkeit mit der dies – unterstützt durch unser Handeln – geschieht, macht mir Angst.

Hans Peter Jost ist Fotograf und lebt in Zürich.

www.hanspeterjost.com