22. September 2021

80 km/h dürfen sie nicht überschreiten. Doch befahren viele Lastwagen die Autobahnen mit 85-90 km/h. Sie riskieren dabei sehr wenig. Zumal die Geschwindigkeit vieler Lastwagen genau darauf begrenzt ist.

mif. Reisebusse ohne Anhänger dürfen bis zu 100 km/h schnell über die Schweizer Autobahn fahren. Das Tempolimit für Lastwagen liegt bei 80 km/h. Unterwegs sind sie aber durchschnittlich mit knapp 90 km/h. Der Bundesrat bestätigt diese umweltschädliche und wettbewerbsverzerrende Tatsache.

Was strikte 80 km/h bringen würden

  • Senkung der CO2-Emissionen um 6 – 8 %: Laut einer für Österreich erhobenen Studie würde dies dort 100’000 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen.
  • Mehr Sicherheit im Verkehr: Schnellere Lastwagen verursachen aufgrund des Gewichts und verlängerter Bremswege deutlich schwerere Unfälle.
  • Lärmminderung im Äquivalent von 20% weniger Verkehr: Kostenintensive Lärmschutzmassnahmen könnten teils eingespart werden.
  • Stärkung des Schienentransports: Das strikte Einhalten der Lastwagentempi auf Autobahnen verhindert zwischen Basel und Chiasso eine gesetzeswidrige Zeitersparnis von 15 bis 20 Minuten – Zeit, die für den Schienenverlad genutzt werden könnte.

Maximal 650’000 alpenquerenden Lastwagen dürften pro Jahr die Alpen queren, 2020 waren es immer noch 863’000. Die überhöhten Tempi bremsen das gesetzliche Verlagerungsziel aus. Der Bundesrat hat diesen von Alpenrat Michael Töngi 2019 vorgebrachten Missstand zwar bejaht. Doch geändert hat sich nichts. Auch in Frankreich oder Spanien bestehe ein Tempolimit von 90 km/h. 80 km/h sei gegenüber ausländischen Chauffeuren kaum durchsetzbar. Schweizer Lastwagen auf 80 km/h zu plombieren, würde bedeuten, dass diese im Ausland die erlaubte Geschwindigkeit nicht ausnutzen könnten. Die Geschwindigkeitskontrolle liege zudem in der Hoheit der Kantone. Die Alpen-Initiative hat bei diesen nachgefragt und folgende Knackpunkte festgestellt.

Schwierigkeiten bei der Umsetzung Tempo 80 km/h

  • Toleranzwerte und Europatauglichkeit: Lastwagen dürfen in Ländern wie etwa Frankreich oder Spanien bis 90 km/h fahren. Viele dieser Fahrzeuge sind auf 85 bis 89 km/h begrenzt. Lastwagen mit Maximalgeschwindigkeit bis 89 km/h werden unter Berücksichtigung des Toleranzabzugs von mindestens 5 km/h und einem verbleibenden Busswert von 20 Franken kaum je gebüsst.
  • Erschwerte Detektierbarkeit: Die meisten stationären Messegeräte können Reisebusse (bis 100 km/h) nicht von Lastwagen unterscheiden. Bei Einstellung 100 km/h bestehen keine Probleme für Lastwagen. Einstellung 80 km/h büsst alle Reisebusse zwischen 85 und 105 km/h mit. Sie müssen nachträglich aussortiert werden.
  • Grenzen mobiler Kontrollen: Mobile Geschwindigkeitskontrollen müssen höhere Toleranzen abziehen. Bei 89/90 km/h führt dies kaum zum Erfolg.
  • Schwerverkehrskontrollzentren (SVZ) können nicht einschreiten: Sie prüfen Fahrzeugzustand und Einhalten der Ruhe- und Arbeitszeit. Fahrtenschreiber auf Geschwindigkeiten nachzukontrollieren, ist nur bei begründetem Verdacht auf eine Geschwindigkeitsübertretung zulässig.

Fazit: Das Gros der Lastwagen fährt 85 bis 90 km/h auf der Nord-Südachse. Die Umstände erlauben das, dem Gesetz entspricht es jedoch nicht. Der Schweizerische Nutzfahrzeugeverband ASTAG empfiehlt gar offiziell den Tempomat für Lastwagen auf 85 km/h einzustellen. Anfragen bei der Kantonspolizei Uri laufen ins Leere: Es könnten keine nennenswerten Geschwindigkeitsübertretungen festgestellt werden. In Berücksichtigung der genannten Umstände ist das ebenso verständlich wie glaubhaft. Leider.

Gegen Kahlschlag im Schienengüterverkehr

Die 2016 überstürzte Entlassung von SBB Cargo in den freien Wettbewerb ist ein Fehlschlag. Die Lastwagen verdrängen im Import-, Export- wie auch Inlandtransport die umweltfreundliche Bahn. Nur im Transitverkehr wächst der Anteil der Bahntransporte. Jon Pult, Präsident der Alpen-Initiative, dazu: «Der Schienentransport muss dringend faire Wettbewerbsbedingungen erhalten.»

Wir brauchen…

  • einen definierten Mindestanteil der Schiene im Export- und Import- sowie im Inlandgüterverkehr. Das neue Verlagerungsziel von der Strasse auf die Schiene für den Import und Exportverkehr über längere Distanzen muss ambitioniert sein. Dazu braucht es auch einen definierten Mindestanteil Schiene im Inlandtransport.
  • ein finanzielles Fördersystem, das den Wettbewerbsnachteil für den Schienengüterverkehr in der Fläche ausgleicht. Dieser Ausgleich ist so lange aufrechtzuhalten, bis der Strassengüterverkehr seine externen Umwelt- und Wegekosten endlich vollumfänglich deckt.
  • eine leistungs- und wettbewerbsfähige Bahninfrastruktur für die Feinverteilung der Güter. Diese beinhaltet genügend Bedienpunkte und Anschlussgleise für die Feinverteilung. Infrastrukturbauten wie Terminals, Trassen und Gleisanlagen für den Güterverkehr sind zu priorisieren.
  • strenge Auflagen für den Transport bahnaffiner Güter. Güter wie Kies, Erze, Abfall, Wertstoffe oder Rundholz sollen ab einer gewissen Distanz und Menge nur noch per Bahn transportiert werden dürfen.
  • Auflagen an die Gleisinfrastruktur für neue Logistikzentren und Gewerbeflächen. Ab einer gewissen Grösse und Güterverkehrsaufkommen müssen diese einen Gleisanschluss anbieten.

LSVA

35 Mio. Franken zusätzlich pro Jahr

mif. Die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) reicht bei weitem nicht aus, um die verursachten externen Kosten zu decken. Das zeigt das jüngst vom Bundesamt für Raumentwicklung ausgewertete Jahr 2018 sehr deutlich. Trotz LSVA-Einnahmen von 1,049 Mia. Franken bleiben Umwelt-, Stau-, Lärm-, Unfall- und Gesundheitskosten von 1,349 Mia. Franken offen. Das sind 35 Millionen Franken mehr als 2017. Bezahlen muss das die Schweizer Bevölkerung und deren Nachfolgegenerationen. Noch einmal ein Grund mehr, um Druck auf den Revisionsprozess für eine verursachergerechte neue LSVA zu machen.